Der Hund muss nur mal richtig ausgelastet werden
Das ist ein X-Hund (setze hier eine beliebige Bezeichnung wie „Arbeitshund“, oder „Jagdhund“, gerne aber auch einfach eine Rasse ein). Der muss richtig ausgelastet werden, sonst:
Tanzt er dir auf der Nase rum.
Hältst du ihn nicht typgerecht.
Wird er verhaltensauffällig.
Ist er nicht glücklich.
Bist du eine schlechte Bezugsperson.
YEAH, mich schüttelt es bei diesen Sätzen. Dich auch? Oder hast du jetzt kurz gedacht „Genau, so ist es bei meinem X-Hund auch. Hat man mir von Anfang an gesagt.“.
Tag für Tag werden Hunde im vermeintlich guten Glauben zum Sport geschleppt, durch die Gegend getrieben oder – mein persönlicher Graus – an ein Fahrrad gehängt, um mal richtig zu laufen und sich auszupowern.
Es wird getrickst, es wird gesprungen, Bälle durch die Gegend geschubst oder Dummys apportiert und am Wochenende, da wird getrailt. Mit viel Glück alles auf Basis positiver Verstärkung. Nebenbei darf der Hund dann vielleicht noch ein wenig tiergestützte Therapie begleiten, sich mit seinen Ausgeh-Kameraden aus der Nachbarschaft zum Toben treffen, weil sich die Menschen so gut verstehen. Die Grunderziehung und der Gehorsam dürfen natürlich auch nicht fehlen, deswegen geht es noch mindestens einmal die Woche in die Hundeschule und das Training im Alltag findet natürlich auch statt – nur wer fleißig übt, bekommt einen guten Hund.
Klingt überspitzt und sarkastisch? Ja, fühlt sich auch so an und dann sehe ich es Tag für Tag, dass es eben doch so gemacht wird. Unsere Hunde haben einen vollen Terminkalender. Nur die Zeit, um einfach mal Hund zu sein, die fehlt. Und die Spaziergänge, die eigentlich Hundezeit sein sollten, sind schnelle zackige Löserunden an kurzer Leine, Zeit zum Schnüffeln und Erkunden? Fehlanzeige! Waldi muss nämlich heute noch…
Das Ziel: Auslastung – bloß alles perfekt machen.
Das Resultat: überforderte, hibbelige Hunde mit Verhaltensbaustellen, die vor lauter Erschöpfung gar keine Energie mehr haben, um neue Strategien zu lernen.
Oh nein, ich habe überhaupt nichts gegen sinnvolle Beschäftigung, auch nichts gegen eine gute Vorbereitung auf den Alltag mit zuverlässigen Signalen. Ich liebe das Zusammenleben mit meinen Hunden und habe sie sicher nicht um sie in der Ecke verschimmeln und sich langweilen zu lassen. Doch meine Hunde sind und bleiben Hunde.
Unterforderung und Überforderung erkennt man an den gleichen Symptomen und die meisten Menschen machen nicht zu wenig, sondern zu viel mit ihren Hunden. Der Leistungsanspruch unserer Gesellschaft wird einfach den Kindern und Hunden mit übergestülpt.
In diesem Artikel habe ich dir 15 Anzeichen, an denen du Überforderung beim Hund erkennen kannst zusammengefasst.
Wenn dein Hund häufig überdreht ist und du dir nicht sicher bist, ob er über- oder unterfordert ist, empfehle ich dir meinen Kurs “Vom Raketenhund zur coolen Socke!“.
In unserer Podcast Episode #04: Gelangweilt, überfordert oder ausgelastet? sprechen Anja und ich bereits über das Phänomen. In diesem Blogartikel möchte ich dir meine Perspektive aus anderer Sicht erläutern:
Warum Auslastung und Beschäftigung?
Wenn wir alle den Ehrgeiz, den Perfektionismus und auch den gesellschaftlichen Druck an uns Menschen mit Hund über den Haufen werfen, dann geht es uns doch vor allem um eines:
Eine gute Beziehung zu unserem Hund.
Wir wünschen uns das Beste für unsere vierbeinigen Weggefährten und möchten es einfach richtig gut machen. Dazu gehört eben auch, dass unsere Hunde ihre Sinne und Bedürfnisse ausleben können.
Unsere Hunde haben eine Sinneswelt, bei der wir fasziniert und zugleich absolut unwissend daneben stehen und beobachten können. Sie sehen, riechen, hören, fühlen und schmecken Dinge, die uns immer verborgen bleiben. Meine Hunde zu beobachten, wenn sie die Welt erkunden, ist absolut faszinierend für mich. Frei gemacht von Regel- und Wettkampfsgedanken, hat es etwas beinahe Meditatives.
Unsere Hunde haben Bedürfnisse. Sie ergeben sich aus ihrer Biologie und den Funktionskreisen von Verhalten. Die Natur ist geschickt: Alles, was zum Leben außerhalb von Bedrohung, wichtig ist, macht Freude und ist ein Bedürfnis. So sorgt sie dafür, dass das Individuum Energie aufbringt und in Bewegung kommt – um zu überleben und sich fortzupflanzen.
Sinn- und nutzlose Beschäftigung hat die Natur nicht vorgesehen. Das würde den Energieverbrauch in die Höhe treiben und Gefahr für die Art bedeuten. Klar, bei den hochspezialisierten Hunderassen mit einer intensiven Selektions- und Zuchtgeschichte scheint die Kosten-Nutzen-Rechnung aus den Fugen, doch im Kern bleibt sie bestehen. Auslastung über ein stupides am Rad laufen und vorwärts rennen, ist gegen die Natur unserer Hunde. Hier wird vielleicht der Körper gefördert (über eine einseitige, fragwürdige Belastung), aber nicht die Sinne. Das Gleiche gilt für alle anderen einseitigen Belastungen, wie z.B. Zughundesport, ebenfalls.
Doch sie wollen ihre Sinne nutzen, in ihrem Tempo die Welt entdecken und wahrnehmen. Sie kennen Begierde und Neugierde als Gefühl. SEEKING nannte der Forscher Jaak Panksepp die Emotion dahinter. Du kennst sie, als Vorfreude, Begierde und als Entdeckergeist. Wenn wir sicher sind und uns gut fühlen, wollen wir mehr entdecken. Das Erleben solcher Momente ist ein Bedürfnis. Die Natur nutzt es, damit wir in Bewegung kommen und die Ressourcen von morgen entdecken.
Diese Bedürfnisse bringen unsere Hunde also in Bewegung und erfüllen überlebenswichtige Funktionen. Das eigenständige Stillen dieser Bedürfnisse und das Erleben sind wichtige Aspekte des Wohlbefindens.
Wohlbefinden entsteht nicht nur aus dem Weglassen von Schmerzen und Gefahr, sondern durch nutzen und ausbauen der eigenen Fähigkeiten in einem Umfeld ohne Druck und Angst.
Auslastung soll dem Wohlbefinden dienen, die Sinne fördern und Bedürfnisse stillen.
Was macht gute und gesunde Auslastung aus?
Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität bei der Auslastung. Regelmäßige Zeitfenster sind absolut nützlich und sinnvoll, schon alleine für deine Planung und um sicherzustellen, dass niemand zu kurz kommt. Dabei handelt es sich aber nicht um Stunden, sondern meist um Minuten.
Es kommen alle Sinne zum Einsatz:
Sehen
Hören
Riechen
Schmecken
Tasten
Der Tastsinn deines Hundes ist im Übrigen phänomenal und wird nicht nur über Berührungen, sondern auch über den Einsatz seiner Muskulatur genutzt. Allerdings nur, wenn du deinen Hund nicht nur stupide Übungen absolvieren lässt, sondern vor allem dann, wenn unterschiedliche Bewegungen auf verschiedenen Untergründen genutzt werden. Bewegt dein Hund sich immer nur in kontrollierten, langsamen und vorsichtigen Bewegungen, so bekommen weder der Tastsinn, noch die Gelenke vernünftiges Futter. Denn der Gelenkknorpel deines Hundes ist darauf angewiesen, dass er wie ein Schwamm auch mal ausgedrückt wird, um sich dann wieder zu füllen. So bekommen Gelenke die notwendigen Nährstoffe zur Gesunderhaltung. Etwas, dass beim Radfahren und der Fährtenarbeit kaum geschieht.
Auch ist das Verarbeiten der vielen Tastinformationen echter Denksport. Ein Grund, weshalb Balanceübungen anstrengend für Körper und Geist sind.
Neben den Sinnen ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Freiwilligkeit! Jede Auslastung die unter großen externen Motivationshilfen oder unter Druck und Zwang ausgeübt wird, ist weder bedürfnisbefriedigend, noch geistig eine Auslastung. Zugleich ist Bewegung unter komplett angespannter Körpermuskulatur ggf. sogar ungesund.
Warum ich hier die externe Motivation auch erwähne? Ganz einfach, je mehr externe Motivation es braucht, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es kein aktuelles Bedürfnis des Hundes befriedigt. Ich bin ein riesiger Fan von positiver Verstärkung und Belohnung und auch davon Motivation aufzubauen, doch immer im Rahmen. Wenn beispielsweise beim Mantrailing sich eine vertraute Person verstecken muss, die gesuchte Person wegrennen muss oder der Hund bei anderen Sachen erst richtig „heiß“ gemacht werden muss, ist die Grenze zum Druck für mich überschritten. Das Gleiche gilt auch, wenn eine bestimmte Belohnung (z.B. das Lieblingsspielzeug) für diesen Part reserviert wird.
Eine gute, gesunde Auslastung setzt auf die Bedürfnisse des Hundes. Es befriedigt diese und externe Verstärkung ist das i-Tüpfelchen, dass die Freude vergrößert. Dazu werden die Fähigkeiten und Sinne des Hundes genutzt und der Hund darf diese frei einsetzen. Körperliche Aktivität, Sinnesnutzung und Freude stehen im Einklang miteinander.
Was, wenn ich dennoch Sport mit meinem Hund machen will?
Sport ist nichts Schlechtes. Wenn die Bewegungsabläufe und das Umfeld für deinen Hund gesund sind, spricht nichts dagegen. Je mehr du dabei von den eigentlichen Bedürfnissen deines Hundes hin zu einem „Regelwerk“, Wartezeiten und Aufgaben mit vielen Signalen und Kontrolle kommst, desto weniger läuft es als sinnvolle Auslastung.
Dann ist es dein Hobby und die Beschäftigung deines Hundes. Vielleicht sogar Arbeit für ihn. Auch hier spricht nichts dagegen, solange du deinen Hund:
dabei nicht überforderst.
nicht in regelmäßige Stress-Situationen bringst.
nicht zum Sportgerät degradierst.
ausreichend Gelegenheit zur Erholung gibst.
genug Freizeit und Bedürfnisbefriedigung ermöglichst.
auch einfach mal Hund sein lässt.
Wie kann ich meinen Hund auslasten?
Das kommt auf seine Bedürfnisse, seine körperliche Verfassung und natürlich auch seine Herausforderung im Alltag an.
Hat dein Hund regelmäßig Zeit, in der er einfach mal Hund sein darf, in der er eigenständig im Freilauf erkundet, über Stock und Stein geht? Dann hast du den Großteil der Auslastung im Sack.
Ergänzt du dies noch mit einigen, wenigen sinnvollen Trainingsaufgaben, bei denen du verschiedene Belohnungen einsetzt, dann hat der Kopf viel zu tun. Was die Belohnungen sein können, hängt von deinem Hund ab. In diesem Artikel erzähle ich dir mehr dazu. Ich liebe z.B. Spielbelohnungen, Suchaufgaben, Interaktion und Umweltbelohnungen, wie das Buddeln. So kann ich gleich noch mehr Sinne auslasten.
Suchen, Klettern und gemeinsamer Spiele-Spaß (damit meine ich nicht stupides Ballwerfen) halten ebenfalls Kopf und Körper fit. Mehr zum Thema Spielen, erfährst du in dieser Podcast Episode.
Drinnen bekommen meine Hunde vor allem Dinge, mit denen sie sich selber beschäftigen können: Schleckmatten, Futterbälle und Co. Wenn wir mal nicht viel draußen unterwegs sein können, gibt es noch kleine Indoor-Suchen und Trainingseinheiten für Kopf und Körper. Spiele-Expertin Christina Sondermann erzählt dir dazu mehr in dieser Podcast Episode.
Wie kann ich einen Hund sinnvoll auslasten, der nicht in den Freilauf kann?
Meine Hunde dürfen nicht immer und überall in den Freilauf. Wir haben viel Naturschutzgebiet um uns und auch an die Regeln der Brut- und Setzzeit halten wir uns. Früher durften beide wegen Verhaltensproblemen nicht in den Freilauf.
Falls dich das Thema interessiert, schau mal hier vorbei „Mein Weg in Sachen Freilauf“.
Das war ein Grund, weshalb wir die Wohlfühl-Inseln so etabliert haben. Hier kann ich im relativ sicheren und vertrauten Umfeld eine Menge Auslastung fördern:
Spielen
Trainingsaufgaben mit Belohnungen
Suchaufgaben über unterschiedliche Hindernisse und Untergründe
Wir lieben bis heute Spaziergänge bei denen unsere Hunde die Strecke auswählen und in ihrem Tempo erkunden. Wir bleiben stehen, wenn sie schnüffeln, lassen ihnen Zeit beim Buddeln oder Beäugen der Umgebung.
Und, ganz wichtig, je mehr du bedürfnisbefriedigende Belohnungen verschiedener Art einsetzt, desto weniger brauchst du dir Gedanken um die zusätzliche Auslastung machen.
Warum du insbesondere bei einem Hund mit Verhaltensproblemen auf eine gute Auslastung achten solltest
Gerade, wenn der Alltag uns beschwerlich vorkommt, wir viel mit Problemen, Angst und Aggression beschäftigt sind, geht die Leichtigkeit oft flöten.
Dabei ist Frustration und mangelnde Bedürfnisbefriedigung einer der Hauptgründe für Verhaltensprobleme bzw. die Schwierigkeiten diese loszuwerden.
Je mehr du Freude und Spaß in euren Alltag einfließen lassen kannst, desto:
mehr förderst du insgesamt gute Emotionen, die als Gegenspieler für Angst aktiv werden.
eher lernt dein Hund eigenständig, Probleme zu lösen und neue Strategien zu entwickeln.
tiefer und enger wird eure Beziehung und die Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren.
eher baust du alternative Verhaltensweisen auf.
schneller reduzierst du Stress.
besser förderst du Frustrationstoleranz und Impulskontrolle.
eher hilfst du dem Körper und dem Gehirn deines Hundes, sich zu regenerieren.
Woran du erkennst, dass dein Hund gut ausgelastet ist
Beobachte deinen Hund! Nur, das wird dir Erkenntnis bringen. Die meisten Hunde sind von unserem Alltag und der Umwelt eher überfordert, als unterfordert. „Nach müd kommt blöd“ lautet ein Sprichwort. Nicht selten suchen wir nach mehr Auslastung, obwohl der Hund schon im „blöd“ Bereich ist und wir weniger machen sollten.
Wenn er nach den Spaziergängen sofort komatös zusammenbricht oder noch einmal „seine dollen 5 Minuten“ bekommt, ist das ein Zeichen dafür, dass es zu viel war. Idealerweise kommt er zuhause an, trinkt, schaut noch einmal nach dem Rechten und geht dann ins Ruhen über. Nach ca. 2 Stunden wechselt er den Platz oder macht kurz etwas anderes und ruht dann weiter.
In Podcast Episode #45 erfährst du, wie du Überforderung beim Hund erkennen kannst.
Ist er am Tag nach der Auslastung, dem Hobby oder Hundesport heftiger oder sensibler, weißt du, dass es ihn überfordert hat. Plane dann am Folgetag mehr Ruhe ein oder sorge dafür, dass sich die Situation beim Sport ändert.
Zeigt er häufig bei der Auslastung Stress-Signale oder Konflikte, bellt er viel und sein Erregungslevel schießt hoch bis unter die Decke? Dann ist es keine Auslastung, sondern Überforderung! Mehr zu den klassischen Stress-Symptomen kannst du hier lesen.
Zusammengefasst
Gute Auslastung:
basiert auf Freiwilligkeit.
fördert die Sinne deines Hundes und nutzt sie (alle).
ist den körperlichen Fähigkeiten deines Hundes angepasst.
befriedigt die natürlichen Bedürfnisse deines Hundes. (Erkunden, Jagen, Fressen etc.)
findet in einem angenehmen Umfeld statt.
erschöpft deinen Hund nicht, sondern erfüllt ihn.
Setze lieber im Alltag auf stetige Förderung seiner Sinne und seinem Wohlbefinden, dazu auf bedürfnisbefriedigende und abwechslungsreiche Belohnungen im Training und eigenständige Beschäftigung zuhause, als deinen Hund von Termin zu Termin zu scheuchen!
Wenn dein Hund häufig überdreht ist und du dir nicht sicher bist, ob er über- oder unterfordert ist, empfehle ich dir meinen Kurs “Vom Raketenhund zur coolen Socke!“.
Schau auch gern in den Blogartikel: “Die Körpersprache deines Hundes – Kenne die Basics” und höre dir Podcast Episode #48: “Die Welt aus der Sicht deines Hundes” an!
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