Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Erinnerst du dich noch an den Pawlowschen Hund, den Hund, welcher anfing zu sabbern nachdem er eine Glocke hörte? Sicher hast du im Biologieunterricht von ihm gehört. Lass uns gemeinsam unter die Lupe nehmen, warum der Hund dies tat und was das für unseren Umgang mit unseren Hunden bedeutet.

Nur noch einmal zur Erinnerung

Im Beispiel des Pawlowschen Hundes wurde eine Glocke geläutet und dem Hund dann Essen gegeben. Das Essen hatte automatisch Speichelfluss zur Folge. Nach einigen Wiederholungen reichte das Läuten aus und der Hund begann zu sabbern. Es heißt im Übrigen so, weil der Forscher, welches das Experiment leitete, der Russe Iwan Petrowitsch Pawlow war. Er legt mit dieser Entdeckung einen wichtigen Grundstein für unser Wissen zu Lernverhalten.

Definitionen

Lernen bedeutet, dass ein Individuum sich an die Umwelt anpasst um zu überleben und sich erfolgreich fortzupflanzen.

Dies kann nur geschehen, wenn das Individuum eine Möglichkeit hat zu erkennen, wenn im nächsten Moment etwas Bedeutendes wahrscheinlich ist und dadurch lernt seine Umwelt einzuschätzen. Die Klassische Konditionierung ist eine Lernform und Trainingstechnik, welche genau dies ermöglicht. Im Übrigen ist diese Lernform nicht auf unsere Hunde beschränkt, auch unsere anderen Tiere und wir selber lernen auf diesem Wege – gewollt oder ungewollt.

Klassische Konditionierung ist eine Form des assoziativen Lernens. Assoziativ bedeutet, dass Reize miteinander verbunden werden.

Reize, auch Stimuli genannt, können Geräusche, wie z.B. unsere Signale, Licht, Berührungen und vieles mehr sein. Kurzum, alles was wahrgenommen werden kann. Ein Reiz kann angeboren eine Bedeutung haben und dadurch eine Reaktion auslösen. Dies sind die unkonditionierten Reize. Ihre Bedeutung muss nicht zunächst erlernt werden. Zu den unkonditionierten Reizen gehören z.B. plötzliche, laut auftretende Geräusche, Wärme und Kälte. Und es gibt Reize, welche gegebenenfalls zunächst, keine Bedeutung haben. Erhalten diese eine Bedeutung spricht man von konditionierten Reizen. Klassische Konditionierung gibt einem, bisher unbedeutenden Reiz, eine Bedeutung in dem er mit einem bedeutenden Reiz verknüpft wird und in Zukunft alleine die Reaktion des bedeutenden Reizes auslöst.

Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Kennst du diese Situation?

Aus dem Augenwinkel siehst du, dass eine Tür schnell zufliegt und noch ehe der Knall ertönt hast du bereits den Kopf eingezogen, die Arme hochgerissen, vielleicht die Hände an die Ohren gelegt. Das hast du via Klassischer Konditionierung gelernt! Die zufliegende Tür war einst ein unbedeutender Reiz, der Knall ein unkonditionierter Reiz, welcher reflexiv die Schreckreaktion ausgelöst hat. Jetzt reicht es, dass du die Tür zufliegen siehst, du greifst vorweg und rechnest mit dem Knall.

Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Oder ein schöneres Beispiel: Du öffnest den Kühlschrank und deine Tiere machen sich allesamt auf die Socken zu dir. Ahnst du es? Richtig! Das Geräusch der Kühlschranktür – einst ein unbedeutender Reiz – wurde mit dem bedeutendem Reiz Essen verbunden. Die Kühlschranktür regt in deinem Hund – und bestimmt auch in dir – die Erwartung von Nahrung aus.

Um Verknüpfungen dieser möglichst rasch und nachhaltig herzustellen, ist die Einhaltung von Regeln notwendig.

Beginnen wir mit etwas simplen, aber absolut notwendigem. Die Reize müssen vom Lernenden wahrgenommen werden. Das bedeutet, dass sie sich von der Umwelt abheben und in seinem Sinnesspektrum wahrnehmbar sein müssen. Je langweiliger die Umwelt und die Situation, desto einfacher ist dies. Je aufregender, spannender, anstrengender die Situation, desto schwieriger ist es – desto wichtiger muss also der zweite Reiz sein. Mach dir dies bewusst.

Es bringt nichts bei Gegenwind zu flüstern, einem blinden Hund zu winken oder einen tauben Hund zu rufen.

Um etwas anzukündigen muss der unbedeutende Reiz zuerst erfolgen, danach folgt der bedeutende Reiz. Idealerweise liegen zwischen den beiden Reizen einige wenige Millisekunden bis zu wenigen Sekunden. Vielleicht kennst du diese Anleitung bereits vom Aufbau deines Markersignals, z.B. Clicker oder Markerwort und dir kommt dies nun bekannt vor?

Richtig, denn dieser Signaltyp wird via Klassischer Konditionierung aufgebaut. Der unbedeutende Reiz (Markersignal) wird mit einem bedeutenden Reiz (Belohnung) verknüpft. Ein anderes Beispiel ist das konditionierte Entspannungswort. Ein bisher unbedeutendes Wortsignal wird mit anschließender Entspannung verknüpft.

Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Treten mehrere Reize zeitgleich auf, so spricht man von einer Überschattung.
Die Assoziation der Reize wird dadurch schwerer oder ist ggf. sogar nicht möglich. Eine beliebte Überschattung im Hundetraining ist der Griff in die Leckerchentasche, parallel zum Markersignal. Der Hund lernt das Reizpaket (Hand in die Tasche + Markersignal) kennen und verknüpft dieses mit der Belohnung. Tritt später nur eines auf, so ist dieser Reiz unvollständig und damit weniger oder unbedeutend.

Zur Vermeidung einer Überschattung ist es sinnvoll das Markersignal zu geben, einmal tief einzuatmen und dann mit der Belohnung beginnen. So bringst du im Übrigen auch gleich etwas Ruhe in dein Training.

Eine weitere wichtige Regel wäre das Verhältnis des Auftretens der beiden Reize. Der zugehörige Fachbegriff lautet Kontingenz.

Um eine stabile Verknüpfung zwischen den beiden Reizen herzustellen und aufrecht zu erhalten, müssen die Reize regelmäßig unmittelbar nacheinander auftreten. Tun sie dies nicht, so wird die Verknüpfung instabil. Je zuverlässiger beide Reize in direkter Verbindung miteinander auftreten, desto stabiler wird die Verknüpfung. In meinem Training hat sich eine 80% – Regelung bewährt: Auf den unbedeutenden Reiz folgt in mindestens 80% der Fälle der bedeutende Reiz. Möchte ich beispielsweise den Namen meines Hundes als zuverlässiges Signal für ihn etablieren, dass es sich lohnt mir zuzuhören, so folgt in mindestens 80% der Fälle nach seinem Namen etwas Gutes für ihn. Dies lässt sich gut zählen. Einmal den Namen doch versehentlich genervt verwendet, viermal aufgefrischt und die Quote stimmt wieder.

Es bedeutet allerdings auch, dass der bedeutende Reiz möglichst nicht ohne den unbedeutenden auftritt. Ein Faktor, welcher vielen von uns nicht bewusst ist. Der Griff in die Belohnungstasche und die Gabe einer tollen Belohnung ohne vorheriges Markersignal, schwächt dieses.

Lernen lebt von Überraschung

Für eine saubere Verknüpfung hat der Lernende keinen Einfluss auf das Auftreten der beiden Reize. Je überraschender die beiden Reize auftreten und je bedeutungsvoller der zweite Reiz, desto weniger Wiederholungen sind notwendig.

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Hast du eine Ahnung worauf ich hinaus will?

Zum Einen auf das oft übliche Prozedere zur Verknüpfung des Markerwortes oder Clickers, das Geräusch in einer Situation mehrfach hintereinander zu produzieren und ein Leckerchen zu geben. Möglichst noch mit einer zunächst gefüllten Schale auf dem Tisch. Sei kreativ, bring Überraschungen ein und mach dir Gedanken, was jetzt in diesem Moment gerade für deinen Hund wichtig sein könnte:

Dein Hund möchte vielleicht gerade raus – gib ihm dein Markersignal und öffne die Terrassentür.

Dein Hund möchte zu dir und kuscheln, lade ihn nach dem Markersignal ein.

Dein Hund isst gerne oder hat Hunger, dann gib ihm ein Leckerchen. Oder auch ganz viele.

Mach dabei beim Aufbau des Signals nicht viele Wiederholungen unmittelbar hintereinander, sondern verteile diese über den Tag.

Zum Anderen aber auch auf einen weit weniger schönen Aspekt der Klassischen Konditionierung.

Kennst du den Begriff „Angst zieht Kreise“? Angst ist für unsere Hunde bedeutend, sogar extrem, da das eigene Selbst bedroht ist. Reize welche unmittelbar vor Angstauslösern einer Schreckreaktion auftreten werden besonders schnell und effektiv verknüpft. Das sichert sein Überleben! Das gilt nicht nur bei Trainingsmethoden, welche auf der Anwendung von Schreckreizen, wie z.B. dem Zischen, basieren, sondern auch auf Reize welche zufällig vor Angstauslösern auftreten. Dein Hund hat Angst vor lauten Geräuschen? Dir ist ein Topfdeckel aus der Hand gefallen und dein Hund hat sich sofort verkrochen? Nun möchte er nicht mehr in die Küche während du kochst. Dann hat er assoziiert, dass es knallt und scheppert, wenn du am Herd stehst.

Klassische Konditionierung – Die Macht der Vorhersage

Die gute Nachricht:
Verknüpfungen können umgemünzt werden. Das nennt man Gegenkonditionierung und vereinfacht ausgedrückt werden dabei Reize verschiedener Bedeutung miteinander verknüpft. Doch dies würde hier den Rahmen sprengen. Grundsätzlich gilt: Betreibe Prävention und Schadensbegrenzung. Wenn dein Hund sich erschrickt oder Angst hat, tu ihm etwas Gutes und markere und belohne den Hund. Du verstärkst die Angst damit nicht – du setzt ein Gegengewicht.

Die Klassische Konditionierung ist nicht willentlich steuerbar. Das bedeutet, dass sich das Individuum die Reaktion auf das Signal nicht aussucht und zunächst abwägt. Es geschieht einfach ohne, dass darüber nachgedacht wird. Die Klassische Konditierung verändert Emotionen und reflexives Verhalten. Ein Faktor, welcher Klassische Konditionierung in unserem Training so unglaublich mächtig und effektiv macht. Sie funktioniert immer, wenn man sich an die Regeln hält. Unsere Hunde können sich nicht aussuchen, ob sie auf das Markersignal reagieren. Richtig aufgebaut und angewandt löst es eine Erwartungshaltung in ihnen aus, so wie der Pawlowsche Hund anfing zu speicheln.

Zu guter Letzt ein kleiner aber feiner Praxistransfer am Rande

Das Tolle an Lerntheorie ist, dass die Regeln immer die gleichen bleiben. Ganz egal welches Ziel du erreichen willst, in welcher Situation du dich befindest, welches Tier du neben dir hast. Du kannst sie von einer Situation in die nächste übertragen und musst dir zunächst nur Gedanken machen, was du eigentlich möchtest.

Mein Welpe soll bei entgegenkommenden Radfahrern automatisch an den Wegesrand gehen? Dann beginne ich von Anfang an, sobald der Hund den Radfahrer wahrgenommen hat, ein Leckerchen an den Wegesrand zu werfen.

Je spannender die Umwelt, desto deutlicher sollte mein Leckerchen sich abheben. Du wirst sehen, der Radfahrer wird so ganz automatisch zu einem konditionierten Reiz, das tolle Leckerchen am Wegesrand ist der unkonditionierte Reiz. Der Radfahrer lässt den Hund also die Vorhersage machen, dass am Wegesrand ein tolles Leckerchen zu finden ist. So hast du – ganz nebenbei – deinem Hund eine tolle Strategie und Anleitung gegeben, was er tun soll, wenn ein Radfahrer kommt.

Um dies aufrechtzuerhalten, solltest du dich nur an die oben genannten Regeln halten.
Und nun viel Freude bei der Suche nach deinen vielen unbewusst klassisch konditionierten Reizen im Alltag – ich bin mir sicher, da findet sich eine ganze Menge!

Neben der Klassischen Konditionierung gibt es auch die Operante Konditionierung. Mehr erfährst du in meinem Artikel: Operante Konditionierung – Die Portion gesunder Egosismus!

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