Sind Tierschutz- oder Auslandshunde automatisch Angsthunde

Sind Tierschutz- oder Auslandshunde automatisch Angsthunde?

Haben alle Hunde aus dem Tierschutz oder aus dem Ausland ein Problem mit Ängsten? Warum spricht man soviel von Angsthunden, Tierschutzhunden oder Auslandshunden? Sind sie wirklich anders? Lass mich den Fragen für dich auf den Grund gehen. 

Warum mir Tierschutz und Angsthunde so wichtig sind

Ich habe viele Jahre im Ausland aktiv Tierschutz betrieben und Tiere begleitet. Dabei habe ich schöne und schlimme Geschichten miterleben dürfen. Mein Mann David und ich haben Pflegehunde aufgenommen und sie auf dem Weg in ein neues Zuhause begleitet. Wie es uns dabei ergangen ist, berichten wir die in Podcast Episode #52. Wir möchten weder die Erfahrungen missen, noch die beiden Hunde die aus dieser Zeit bei uns geblieben sind und dennoch: Es war eine große Herausforderung. Der wir nicht immer gewachsen waren. 

Ich hätte meinen Hunden und mir vieles ersparen können, wenn ich weniger blauäugig an die Sache herangegangen wäre und mehr Distanz besessen hätte. 

Wenn du mit dem Gedanken spielst, dir einen Hund aus dem Tierschutz anzuschaffen, empfehle ich dir meinen Artikel “Einen Tierschutzhund adoptieren – Was kommt auf mich zu?” dazu zu lesen.

Vorsicht mit den Etiketten

Tierschutzhund, Auslandshund, Angsthund, Rassehund – all das sind Etiketten. Wir nutzen sie, um Kommunikation einfacher zu machen. Zu gleich sind sie ungenau und werden dem Hund nicht gerecht. Sie zeigen einfach nur einen Aspekt auf, der für uns besonders deutlich sichtbar ist. Für dein Leben mit Hund ist es allerdings notwendig, dass du hinter die Etiketten guckst und deinen Hund Stück für Stück aus verschiedenen Perspektiven betrachtest. Wenn du dich an einer der Etiketten festhältst, kommst du nicht weiter und wirst immer Ausreden finden. 

Sind Tierschutz- oder Auslandshunde automatisch Angsthunde

Nicht jeder Hund aus dem Ausland, ist ein Angsthund

Ich habe, auch im Tierschutz und im Ausland, viele Sonnenschein-Hunde kennengelernt, die unkompliziert waren und sich im neuen Zuhause schnell und gut zurechtgefunden haben. Auch das gibt es im Tierschutz. 

Wie gut ein Hund sich zurechtfindet, ist von vielen Faktoren abhängig, die nicht unbedingt mit seiner Geschichte zusammenhängen. Auch die Genetik und die Persönlichkeit spielen eine große Rolle. Wie Erfahrungen bewertet werden, ist individuell. 

Eine meiner Pflegehündinnen „Lilla“ war für mich das Paradebeispiel: Sie kam krank und mit 7 Welpen nach Deutschland. Ein Auge war ausgestochen, ein Ohr zerschnitten, sie hatte Schrotkugeln im Körper und war ausgemergelt. Wir waren fest davon überzeugt, dass sie schwer traumatisiert und verängstigt sein musste. Doch uns begegnete ein Hund, der binnen drei Wochen aufgeschlossen und neugierig die Welt erkundete. 

Warum so viele Hunde aus dem Tierschutz Angst haben

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hund aus dem Tierschutz mit Ängsten im neuen Zuhause zu kämpfen hat, ist groß. Die Gründe dafür sind für mich absolut logisch und nachvollziehbar.

So dramatisch manche Geschichte auch klingt und so gerne wir die Gründe gerne in der „schlechten Vergangenheit“ suchen: Viel häufiger liegen die Gründe im Hier und Jetzt. 

Denn Hunde sind nicht dafür gemacht abrupt umgesiedelt zu werden. Sie haben nicht die Möglichkeit zu reflektieren und zu erkennen, dass sie jetzt „gerettet“ wurden. Vielmehr ist ihnen mit dem Umzug jede Vorhersagesicherheit entzogen worden. Alles ist neu und ungewohnt. Überforderung und Stress setzen ein. 

Hunde sind Kontextlerner, ihre Strategien sind an bestimmte Situationen und Reize gekoppelt. Entfällt der Kontext, hat der Hund keine Strategie mehr, die Situation zu bewältigen. Selbst „normalste“ Dinge werden für den Hund zum Stressauslöser. Passiert das hin und wieder, können Hunde das kompensieren. Wird es zu viel, ziehen sie sich an sichere Orte zurück, fahren die Aktivität auf das Notwendigste zurück und erholen sich. Doch was ist, wenn man nicht mehr weiß, wann und wo es sicher ist? Dann wird das Ganze zur Lebensgefahr. Und sei dir gewiss: Auch das flauschige Körbchen im warmen und trockenen Umfeld ist nicht unbedingt sicher. Denn in deinem Haushalt warten viele fremde Geräusche, Gerüche, Mitbewohner, Bewegungen und auch die Einschränkung durch Wände.

Lass uns als Beispiel ein Auto auf der Straße nehmen. Vielleicht kennt dein Hund Autos. In dem Ort, wo er gelebt hat, klapperten die Dinger über Schotterpisten und Straßen mit Schlaglöchern. Sie verursachten also verschiedene Geräusche, waren nicht sehr schnell und durch die Geräusche leicht zu kategorisieren. Er konnte erkennen, woher sie kommen, wohin sie fahren, wie schnell sie sind. Er wusste, wenn er am Punkt X ist, kommen sie nicht an ihn ran. Er konnte frei entscheiden, ob er seinen Weg fortsetzt oder ausweicht. Nun ist er bei dir, die Straßen bei uns sind gut, die Autos moderner und leiser, dafür gibt es mehr große LKWs und Transporter. Dein Hund trägt eine Leine und kennt die „sicheren“ Orte nicht. Das Konzept „Bürgersteig“ kennt er nicht wirklich. 

Auf einmal ist das „Auto“, etwas anderes. 

Sind Tierschutz- oder Auslandshunde automatisch Angsthunde

Trennungsstress als Begleiterscheinung

Wenn es in dieser trubeligen Zeit etwas Konstantes und Zuverlässiges gibt, wird dies automatisch zum sichersten Bezugspunkt des Hundes. Auf Grund ihrer sozialen Fähigkeit und unserer Fürsorge sind das nicht selten die Menschen, die sich am meisten um den Hund kümmern. So entsteht eine Mensch-Hund-Beziehung und die Bindung zur Bezugsperson. Bei Mehrhundehaltung kann es sein, dass es ein anderer Hund ist und die Beziehung zum Menschen daher eine andere. Mehr dazu kannst du in meinem Artikel “Wie Mehrhundehaltung sich auf die Mensch-Hund-Beziehung auswirkt” nachlesen.

Nun ist das Wohlergehen aus Perspektive des Hundes vom Bindungspartner abhängig. Wenn dieser den Hund nun verlässt, fehlen dem Hund wieder die Strategien und Sicherheit – Trennungsstress entsteht. 

Begegnungsprobleme – auf Grund mangelnder Sozialisierung?

Ein weiteres häufig vorkommendes Problem, sind die Probleme mit Hundebegegnungen, insbesondere an der Leine. Auch das ist für mich plausibel und hat nur bedingt etwas mit der Sozialisierung zu tun. 

Vorab: Sozialisierung ist ein Prozess. Sie gelingt besonders leicht im Alter von 4-12 Wochen, doch danach endet es nicht. Denn auch Hunde können bis zum letzten Atemzug lernen. 

Hunde aus dem Tierschutz und dem Ausland haben in dem Alter häufig schlichtweg andere Erfahrungen mit Artgenossen gemacht. Sie mussten nicht gesittet und geordnet an der Leine mit einem Menschen daran vorbeigehen. In den wenigsten Ländern aus denen viele Tierschutzhunde kommen, geht man klassisch Gassi. 

Viel mehr sind sie Artgenossen frei begegnet, haben ggf. mit einem festen Verbund gelebt und die Kontakte außerhalb des Verbundes auf ein Minimum reduziert. In meinem Artikel “Hundekontakte hinterfragt” erfährst du mehr zum Thema. 

Wenn sie Artgenossen begegnen, dann tragen sie meist keine Leine, können frei kommunizieren und laufen nicht auf einem Weg geradeaus aufeinander zu – womöglich noch frontal. 

Unsere Art des Spazierengehens und der Kontaktgestaltung zu anderen Hunden, ebenso die Leine am Hund, sowie die Hunde- und Menschendichte verändern etwas an der Kommunikation. Bewährte Strategien gehen nicht mehr auf. 

Sind Tierschutz- oder Auslandshunde automatisch Angsthunde

Worauf du beim Angsthund im Training setzen solltest

Egal, warum dein Hund Ängste hat und woher er stammt: Du brauchst eine systematische Unterstützung für ihn. In den ersten Wochen heißt es, Reizreduktion und Zeit geben. Das Wichtigste ist, dass dein Hund euer gemeinsames Zuhause, dich und das direkte Umfeld Schritt für Schritt kennenlernt und ausreichend Erholungsphasen hat. Stell dir dein Zuhause als Ausgangspunkt vor und ziehe erst größere Kreise darum, wenn Zuhause sicher ist. 

So hat das Gehirn weniger zu verarbeiten. Ist das häusliche Umfeld bei euch besonders herausfordernd und das Autofahren kein Drama, nimm Zuhause als Kernpunkt und suche dir einen ruhigen Ort, wo du mit deinem Hund zum Lösen und Umwelterkunden hinkannst. Verändere nie an beiden Punkten an einem Tag den Radius. Mehr zu den ersten Wochen, kannst du hier nachlesen “So gelingt der Einzug eines Tierschutzhundes”!

Neben diesen Maßnahmen, solltest du dich jedoch zügig betreuen lassen und dir eine Unterstützung suchen, die mit dir Schritt für Schritt im häuslichen Umfeld an den Herausforderungen arbeitet. Hierbei geht es nicht um den klassischen Hundeschulbesuch. Die Fahrt, das neue Umfeld, andere Hunde – all das ist meistens schon viel zu viel. Im Zeitalter von mobilen Kolleg:innen und Onlineangeboten kannst du jedoch leicht Zuhause starten und die Ängste und den Stress reduzieren und deinem Hund gesunde Strategien für einen Alltag voller Wohlbefinden beibringen. Bitte lasse nicht zu viel Zeit verstreichen, denn die Angst kann sich auch ausweiten. Wenn es dich interessiert, warum du nicht auf Gewöhnung setzen solltest, lies gerne hier weiter.

Das erste Ziel des Trainings sollte das Bewältigen der Alltagsanforderungen sein. Danach steht unbedingt die Vorbereitung auf Tierarztbesuche mit auf der Agenda. Denn gerade bei einem Hund mit Ängsten, solltest du gesundheitliche Aspekte und Schmerzen ausschließen – vom Check der Krankheiten, die durch Zecken übertragen werden und einer normalen Vorsorge mal abgesehen. Verhaltensprobleme und Schmerzen gehen oft miteinander einher.

Wie ich dich auf dem Weg unterstützen kann

Neben meinen Artikeln und Podcasts, die dich kostenfrei informieren, möchte ich dir meinen Kurs: Sicherheit schenken und Bindung stärken empfehlen. 

Im Kurs erfährst du, wie Bedürfnisbefriedigung, Zuverlässigkeit und Bindung zusammenhängen und wie du sie sicherstellen kannst. Praktische Übungen zur Kommunikation und zum Vertrauensaufbau begleiten dich durch den Alltag. 

Der Kurs begleitet dich Schritt für Schritt durch einen 4-Wochen-Plan und steht dir für 24 Monate ab Kauf zur Verfügung. Und das für nur 29€. Hier geht es direkt zum Kurs:

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