Verhaltensprobleme? Der Hund ist nicht ausgelastet!

Ich habe es so satt. Immer diese dämlichen Sprüche und Vorwürfe: Sobald ein Hund unangenehm auffällt und nicht funktioniert, kommen sie auf den Tisch und “Die kümmert sich nicht genug. Der ist nicht ausgelastet, so ein Hund muss….” ist einer der Häufigsten. Was für ein Schwachsinn!

Wenn Du gerade nach Luft schnappst, die Backen aufbläst und mit einem gedanklichen “ABER mein Hund ist ein …., der muss….” antwortest, ist das okay. Ich will Dich nicht überzeugen, dass es anders sein könnte. Du kannst einfach weitermachen wie bisher. Die meisten Menschen, die auf diesem Artikel landen, tun das allerdings, weil irgendwas im Leben mit ihrem Hund nicht rund läuft und wenn das auch bei Dir so ist, dann verrate ich Dir was:

Auslastung löst Dein Problem nicht und, wenn Du alles weitermachst, wie bisher, wird sich nichts ändern.

Wenn Du also etwas ändern und neue Perspektiven kennenlernen willst, atme einmal tief durch, mach den Kopf frei und dann lies weiter.

Was unter Auslastung beim Hund verstanden wird.

Wenn von Auslastung gesprochen wird, geht es in der Regel um gezielte Aufgaben für den Hund. Meistens wird noch differenziert, ob Kopf oder Körper im Vordergrund stehen.

Die meisten Menschen verstehen unter Auslastung

  • lange Spaziergänge mit viel Action und Bewegung.
  • Beschäftigungen aus dem Bereich der Nasenarbeit, wie z.B. Mantrailing
  • Hundesport, wie Obedience oder Agility
  • Spielstunden mit anderen Hunden
  • Fun- und Trickkurse

Bei Auslastung geht es im Prinzip immer darum, die Energie des Hundes abfließen zu lassen und ihn zu beschäftigen. Leider jedoch in der Regel nach sehr menschlichen Vorstellungen, die mit den wirklichen Bedürfnissen von Hunden wenig zu tun haben.

Die Vorstellung von Hunde-Hobbys gleicht nicht selten dem Gedanken, dass Pferde geritten werden müssen, um glücklich zu sein. Wozu hat man sie denn sonst? Wir vergessen dabei, dass kein Tier für den Menschen gemacht ist und ihre Bedürfnisse nicht die unseren sind.

Auslastung bedeutet häufig Erschöpfung.

Der Gedanke, Verhaltensprobleme durch Auslastung zu reduzieren, klingt vielleicht logisch. Während der Auslastung kann der Hund nichts anstellen und danach ist er zu k.o. und erschöpft.

Insofern verstehe ich ihn. Auch möchte ich nicht bestreiten, dass ein zufriedener Hund weniger zu Verhaltensauffälligkeiten neigt und gelassener ist. Warum bin ich also so skeptisch?

Die meisten Dinge, die zur Auslastung empfohlen und verordnet werden, führen nicht zu einem zufriedenen Hund, sondern einem erschöpften.

Erschöpfung ist kein angenehmes Gefühl. Wenn der Hund einfach nur erschöpft, k.o. und erschlagen ist, führt das viel mehr dazu, dass sich Schlaf und Erholung verändern und wenig wertvoll werden. Es führt dadurch mittelfristig zu mehr Dünnhäutigkeit und damit in einen Teufelskreis.

Es wird immer mehr und mehr gemacht und der Hund wird immer impulsiver. Oder er ist so fertig, dass er zwar ruhiger ist, aber nicht zufriedener. Er ist gestresst, altert schneller und bekommt häufiger gesundheitliche Probleme.

Kein Resultat, dass man sich wünscht.

Hör gerne in unsere Podcast-Episode zum Thema “Bogen überspannt oder zu wenig gemacht?” rein:

Du willst den Podcast lieber “sehen”? Hier kannst Du Dir das Youtube-Video ansehen.

Warum Auslastung von Hunden häufig Überforderung bedeutet.

Die Ursachen sind schnell erklärt

1. Wenn Auslastung Ressourcen verbraucht, die der Hund im Alltag eh schon nicht in ausreichender Menge hat, wird Auslastung zur Belastung. Dazu gehören neben der Kondition wichtige Kompetenzen wie Impulskontrolle und Frustrationstoleranz. Diese begrenzten Ressourcen brauchen wir im Alltag viel. Wenn Auslastung kombiniert ist mit Warteaufgaben, sehr konkreten formalen Regeln oder in einem Umfeld stattfindet, in dem der Hund gerne (auch) andere Dinge tun würde, diese aber nicht erlaubt oder reglementiert sind, verbrauchst Du Impulskontrolle und Frustrationstoleranz. Wenn Dein Hund davon massig hat und sie euch im Alltag nicht knapp wird, passt es. Solange Du jedoch an Verhaltensproblemen arbeitest, ist in der Regel das Gegenteil der Fall.

Konkrete Beispiele gefällig?

Du machst Dummytraining dort, wo Dein Hund gerne buddeln oder Rehe jagen würde, er muss sich aber auf Dich konzentrieren.

Beim Mantrailing muss Dein Hund im Auto bleiben, bis er an der Reihe ist und er schläft dabei nicht, sondern wartet. In Österreich sind im Übrigen Zeiten von mehr als 30 Minuten im Auto außerhalb der Fahrt untersagt, aus Tierschutzgründen.

Beim Trickkurs würde Dein Hund gerne die anderen begrüßen, doch das ist nicht gestattet oder findet erst zum Ende statt, nachdem er sich konzentriert hat.

Beim Obedience würde Dein Hund gerne den Platz abschnüffeln, doch zunächst heißt es Training, wenn dann noch Zeit ist…

Beim Agility würde Dein Hund gerne den Blitzstart hinlegen, doch er muss erst auf Dein Signal warten.

2. Im unpassenden Umfeld reduzierst Du Wohlbefinden.

Finden Eure Beschäftigungen dort statt, wo Dein Hund sich sehr zusammenreißen muss, weil es spannend ist, verschleuderst Du also Impulskontrolle und Frustrationstoleranz. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist, dass Du unangenehme Emotionen aufkommen lässt.

Denn ein tolles Umfeld in dem ich nicht tun kann, was ich mag, ist frustrierend und Frustration ist ein unangenehmes Gefühl, dass den Drang zum Ausleben immer größer macht. Du erwartest z.B. von Deinem Hund Konzentration, wo er gerne mal zu anderen Hunden hin würde? Der Drang zu anderen Hunden hinzukommen, wird immer größer. Nicht selten entwickeln sich so die Hunde, die auf alle zustürmen und zu jedem hinwollen. Der Ursprung liegt dann nicht selten in mäßigen Welpen-, Junghund- oder Beschäftigungskursen und hat das Problem gefördert.

Auch stundenlange Spaziergänge an der Leine oder im Freilauf, aber mit ständigem Training von Rückruf und Blickkontakt im spannenden Gebiet gehören zu diesen eher schädlichen Auslastungstipps.

Nicht besser ist es, wenn Du in einem Umfeld auslastest, aus dem der Hund sich gerne verpieseln würde, z.B. weil andere Menschen oder Hunde für ihn bedrohlich sind und er sich dennoch zwischen ihnen aufhalten muss. Oder er Geräte, Spiegel oder anderes im Setting gruselig findet.

Treten im Kontext Deiner Auslastung regelmäßig Konflikte, unangenehme Emotionen und Überforderung auf, förderst Du damit den Pessimismus, senkst das Wohlbefinden und schaffst ein Fundament für Probleme – nicht für Lösungen.

3. Menschlicher Ehrgeiz und Leistungsdruck versauen den Spaß.

Sobald wir Menschen beginnen eine Auslastung mit Regeln zu versehen, beginnt die Gefahr, dass wir über “richtig” und “falsch” urteilen. Es beginnt Ehrgeiz, Wettkampf und Perfektionismus. Schnell geht es nicht mehr nur um den Spaß, sondern auch um die Leistung. Gut getarnt kommt sie auch als korrekte Ausführung oder sinnvolle Übung daher.

Ich bin ein Fan von gutem und präzisem Training, doch bei uns haben Lernende immer Recht und können keine Fehler machen. Denn in dem Moment in dem Menschen beginnen über die Leistung der Hunde (oder ihre eigene) zu urteilen, beginnt der Druck. Wir sind selten wirklich zufrieden mit uns. Unsere Unzufriedenheit spiegelt sich dann in unserer Mimik, der Körperhaltung und unseren Stimmen wieder und das versaut dem Hund die Leichtigkeit und den Spaß.

Schöne Interaktion wird zur Belastung für die Beziehung und zugleich ein Faktor der Unsicherheit im Alltag des Hundes, denn der weiß nicht, wann wir mit uns unzufrieden sind und wann mit ihm, er merkt einfach nur unsere Anspannung und bekommt damit die Info, dass die Situation keine gute ist.

Das Alles gilt im Übrigen auch, wenn das Setting und die Beschäftigung eigentlich okay sind, Du es aber mit unangenehmen Ereignissen, z.B. einer ungeliebten Zeit im Auto oder anderen schwierigen Wartesituationen oder dem Schwätzchen mit anderen Teilnehmenden kombinierst.

Falls Du also nach Beschäftigungskursen suchst, schaue Dir Training, Umfeld und Gestaltung erst an. Wird Dein Hund das wirklich gut finden oder ist da viel „Regelwerk“ und Ordnung, wie in der Schule.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Die Rasse als Ausrede.

Ein Husky muss rennen und ziehen, ein Border Collie braucht Beschäftigung und Terrier sind eh beratungsresistent. Ach, wie gut, dass immer alles nach Schema F geht. Ich hatte einen Golden Retriever, der nicht gerne Dinge getragen hat.

Ich habe einen Herdenschutzhund, der super gerne Tricks und Targettraining macht.

Sind das die goldenen Ausnahmen? Haben die Hunde ihre Rassebeschreibung nicht gelesen oder habe ich etwas falsch gemacht?

Weder noch. Sie sind ganz normal und ich bin auch okay. Hunde sind vor allem Individuen, das Wissen über den ursprünglich menschlich gedachten Nutzen und das Zuchtziel gibt uns einen Hinweis auf Vorlieben, aber keinen Beweis.

Ich kenne viele Huskys, für die ist es gut, wenn die Menschen sie nicht ziehen lassen und sie nicht mit Tempo durch die Gegend schicken. Das hohe Tempo draussen führt nämlich zu einem größeren Hetzbedürfnis. Hetzen bedeutet, die Spur von Wild zu verfolgen, nicht an straffer Leine durch den Wald zu rasen. Das bedeutet, gerade bei jagdlich motivierten Hunden, die gerne hetzen, führt Zughunde-Sport, Joggen und andere schnelle Dinge in der Natur zu Frust. Und ist kontra produktiv. Wir sehen die Entladung des Frustes dann gerne in anderen Baustellen, z.B. im Ziehen an der Leine, in Begegnungsproblemen und vielem mehr.

Wie man Verhaltensprobleme nachhaltig löst, statt sie zu unterdrücken.

Ob Angst-, Jagd- oder Aggressionsverhalten, ob es um Probleme mit der Erregung, dem Alleinebleiben oder der Leinenführigkeit geht: Es gibt mehr als einen Grund dafür.

Idealerweise gehst Du die Gründe systematisch an. Unser Konzept geht dabei durch mehrere Phasen:

  1. Analysieren der Situation und lesen lernen des Ausdrucksverhaltens.
  2. Steigerung des Wohlbefindens und Optimierung der Lebensbedingungen
  3. Aufbau des Wunschverhaltens für die einzelnen Situationen
  4. Integration in den Alltag.

Und ja, bei Punkt 2 gehört dann auch bedürfnisbefriedigende Beschäftigung dazu. Also Auslastung, die Frustration abbaut und dem Hund Freude bereiten, weil seine individuellen Bedürfnisse dabei berücksichtigt werden. Sie ist Teil der Lösung, aber nicht die Lösung…

Die Kunst beim Ganzen ist es dann, die richtige Balance zu finden. Dazu berichten Anja und ich Dir im nächsten Podcast mehr.

Sinnvolle Auslastung und bedürfnisbefriedigende Beschäftigung können so einfach sein.

Falls Du Dich nach dem Artikel fragst, wie Du es richtig machen kannst?

Es kann sogar richtig einfach sein. Es geht doch primär darum, dem Hund und Dir gute Momente zu bescheren, in denen ihr gemeinsam Freude habt, erfolgreich kleine und mittlere Herausforderungen bewältigt und die Bedürfnisse des Hundes gestillt werden.

Du kannst es auf jedem Spaziergang, in jedem Training und jeder Indoor-Beschäftigung unterbringen, wenn Du Dich mit den Bedürfnissen Deines Hundes beschäftigst und Deine Kreativität wachsen lässt.

Es sind die kleinen Entdeckungen des Alltags, das Klettern über Stock und Stein, das Nutzen der Sinne und das Erkunden der Welt, die unsere Hunde zufrieden und ausgelastet machen.

Diese Sachen lassen sich zudem noch als Belohnungen nutzen und können Dein Training effizienter und freudiger gestalten.

Jeder Tag, jeder Spaziergang und jede Trainingseinheit sollte sinnvolle Tätigkeiten beinhalten – mit Dir und ohne Dich. Dabei sollte allerdings nicht das Auspowern, sondern die Bedürfnisbefriedigung des Individuums im Mittelpunkt stehen.

Wenn Du Anregungen und Anleitungen dazu wünschst, lernen willst, die Bedürfnisse Deines Hundes zu erkennen und Dich mit Gleichgesinnten fernab von Ehrgeiz und Leistungsdruck austauschen willst, komm in unsere Gemeinschaft, dem Anders mit Hund Zirkel.

Wir unterstützen, inspirieren und informieren Dich dort über alles, was zu einem zufriedenen Leben mit Hund gehört, und helfen Dir das richtige Maß für Dich und Deinen Hund zu finden.