Der Schrei nach Ruhe

Der Schrei nach Ruhe!

Über den Sinn und Unsinn von Ruheübungen

Der Hund soll Ruhe halten. Er soll still sein. Macht das Sinn?
JEIN! Denn Ruhe ist kein trainierbares Verhalten und ein stiller Hund, noch lange kein zufriedener.

Höre gern rein oder lies das Transkript.

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Transkript zur Podcast Episode

#40 Der Schrei nach Ruhe – Über den Sinn und Unsinn von Ruheübungen

 

In der heutigen Podcast Episode möchte ich mit dir über ein Thema sprechen, das mir wahnsinnig am Herzen liegt. Nämlich über das Thema der Ruheübung und dem Schrei nach Ruhe, den man so allgemein hört.

Ich glaube, der Begriff „Ruheübung“ ist einer der, den ich am häufigsten genannt bekomme mit “Hey, hast du mal einen Tipp, wie mein Hund Ruhe lernt? Hast du mal eine Idee, wie mein Hund ruhiger sein kann?”

Das möchte ich heute näher mit dir beleuchten. 

Als Erstes lass uns mal gemeinsam hingucken, was genau Ruhe ist. 

 

Was genau ist Ruhe?

 

Für die meisten Menschen ist Ruhe nichts anderes, als das der Hund stationär an einem Ort ist. Er bewegt sich nicht vom Fleck. Er macht keine Lautäußerungen. Er ist also still und er bleibt an dem Ort, den man ihm zugewiesen hat.

Das kannst du trainieren, indem du mit deinem Hund stationäres Verhalten trainierst, z.B. bleib auf einer Decke, bleib sitzen, bleib liegen. Wenn ich das den Menschen sage, dann kommt ganz häufig “Jaja, aber das kann er ja nicht. Wenn er aufgeregt ist, dann bellt er, dann winselt er und ich möchte doch, dass er still ist.“

Immer, wenn dein Hund bellt oder winselt, wenn er fiept, wenn er quietscht, wenn er rumhibbelt, dann ist das Erregung. Erregung ist erst einmal per se gar nichts Schlechtes. Sie ist nicht einmal unerwünscht. Wenn dein Hund nicht über Erregung verfügen würde, könnte er dir z.B. keine Aufmerksamkeit schenken, weil Aufmerksamkeit gebündelte Erregung ist. Er könnte nicht schnell auf Signale reagieren. Er könnte nicht mit dir spielen. Er könnte nicht jagen gehen. Er könnte nicht toben. Er könnte keine große Freude und keinen Spaß verbringen. Das heißt, Erregung ist erst mal gar nichts Schlimmes. Erregung wird dann für uns zu einer Herausforderung oder sogar einem Problem, wenn sie gepaart ist mit unangenehmen Emotionen, mit unpassenden Verhaltensweisen für diesen Moment oder eben mit Lautäußerungen.

Der Schrei nach Ruhe

Erregung, die wir als unangenehm empfinden, ist selten Vorfreude oder Angenehmes. Häufig ist es schlicht und ergreifend Frustration, fehlende Selbstbeherrschung und fehlende Eigenregulationen – gerne auch Impulskontrolle genannt. Und fehlende Strategien, um mit der Situation umzugehen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass du dir bewusst machst: Erregung ist nicht per se ein Problem. Erregung ist dann ein Problem, wenn sie für uns unpassend ist oder wenn sie aus unangenehmen Emotionen und Empfindungen entsteht. Dein Hund hat keine andere Strategie, als es mit für dich unpassenden Verhalten auszudrücken.

 

Erregung ist immer nur ein Symptom

 

Erregung ist immer nur ein Symptom. Dein Hund kann Erregung nicht bewusst steuern. Er sagt nicht „Hey, jetzt bin ich mal aufgeregt, jetzt bin ich entspannt.“ Sondern die Situation und seine innere Verfassung sorgen eben für bestimmte Erregungszustände. Das heißt du arbeitest in der Regel nicht an der Erregung, sondern du arbeitest mit ihm daran, dass er andere Strategien für diese Situationen bekommt und damit Ruhe.

Übungen sind häufig Sachen, wo der Hund zwar stationär bleibt, aber die Erregung sehr hoch ist. Du siehst dann Hunde, die eben fiepen auf der Decke, die zittern. Sie warten eigentlich nur darauf, dass man ihnen sagt „Jetzt los“ und dann von 0 auf 180 losstürmen. Und je mehr die Erregung danach in die Höhe schießt, desto schwieriger wird für sie “das stationär bleiben”, das Warten, still sein. 

Es gilt also, dich zu hinterfragen, was du tatsächlich willst.

Wenn du einen Hund willst, der ruhig und stationär an einem Ort bleibt, dann trainiere das mit ihm, dass es für ihn ohne Frustration, ohne Konflikte, ohne unangenehme Emotionen ist. 

Vermeide an der Stelle Unter- oder Überforderung, vor allen Dingen aber Überforderung. Die wenigsten Hunde sind an der Stelle unterfordert. Dann hast du automatisch das Verhalten viel, viel, viel ruhiger. Wenn du es in zu großen Schritten trainierst, wenn du es mit Druck und Zwang tust, an der Leine festhalten oder sonstigem trainierst – wird dein Hund vielleicht stationär bleiben, aber unter der Oberfläche wird es brodeln. 

Das andere, was wir eigentlich häufig wollen, ist gar nicht der ruhige Hund, sondern ein entspannter Hund.

 

Ruhe und Entspannung sind zwei Paar Schuhe 

 

Entspannung bedeutet tatsächlich, dass 

  • der Parasympathikus mehr aktiviert wird.
  • die Muskelspannung nachlässt.
  • der Hund sich sicher fühlt.
  • er eine Strategie hat mit der Situation umzugehen.
  • er konfliktfrei ist.
  • er frei von unangenehmen Emotionen ist. 
Der Schrei nach Ruhe

Und er kann aber trotzdem eine gewisse Erregung haben. Entspannung ist also nicht das Gegenteil von Erregung, weil ein Hund, der z.B. wenn du den beobachtest, der in so einem lockeren Galopp um dich herumläuft, der ist ja total entspannt, der ist halt flott. Aber er ist entspannt, wenn er da einfach über die Wiese saust und so seine seine Kreise zieht und dabei wirklich glücklich und zufrieden ist. Und gerade nicht im totalen Hetzmodus, aber eben auch nicht vor Angst rennend. Dann ist der ja nicht unentspannt. 

Das heißt, Entspannung ist nicht unbedingt stationär. Entspannung ist nicht das Gegenteil von Erregung. Entspannung ist primär das Gegenteil von Stress. 

 

Damit Entspannung entstehen kann, braucht dein Hund ein paar Dinge:

 

Das aller allerwichtigste ist, er muss in der Situation aus seiner Perspektive sicher sein. Und wenn er sich nicht sicher fühlt, dann ist das nicht ein Vorwurf an dich, dass du sozusagen die Situation nicht im Griff hast, sondern er ist und bleibt ein eigenständig denkendes Wesen. Wenn irgendwas in der Umwelt ist, was er als Bedrohung wahrnimmt oder auch in ihm z.B. Schmerzen, Unwohlsein, dann ist seine Sicherheit in Gefahr. Wenn Sicherheit in Gefahr ist, kann Entspannung nicht mehr entstehen.

Sicherheit ist z.B. auch in Gefahr, wenn er nicht weiß, was als nächstes kommt. Wenn also ein Kontrollverlust besteht. Kontrollverlust ist in der Tat der größte Stress Auslöser überhaupt. Wenn sich auf einmal Dinge plötzlich ändern. Das ist einer der Gründe, weshalb wir im Training nicht sofort alles umkrempeln. Selbst wenn wir Dinge sehen, die ganz wichtig sind, die umgekrempelt werden müssen, verändern wir nie für die Hunde alles auf einmal, weil wir würden ihnen dann die Sicherheit nehmen, wann etwas wie passiert.

Der Schrei nach Ruhe
Es bedeutet nicht, dass man sich total an “Schema  F” halten muss und jeden Tag dasselbe Leben führen muss

 

Kleine Momente helfen deinem Hund: 

Du gehst mit deinem Hund in den Garten und spielst und ihr schließt immer auf dieselbe Art und Weise vielleicht noch mit einer Futtersuche oder so ab. Das gibt Sicherheit. Es gibt Entspannung.

Der Hund weiß, was tatsächlich passiert und du brauchst an der Stelle keine Angst vor Erwartungshaltungen haben. Erwartungshaltungen sind kein Problem, solange sie nicht enttäuscht werden. Solange der Hund das erwartet, was du auch tatsächlich mit ihm machen möchtest, ist es überhaupt kein Problem. Es wäre schlimm, wenn du darauf setzen würdest, dass dein Hund niemals Erwartungen hat, denn dann wüsste er nicht, was im nächsten Moment kommt. Wenn er das nicht weiß, dann fehlt ihm wieder Sicherheit. Er hat Kontrollverlust und dann entsteht eben unerwünschte Erregung und Anspannung, die wir so nicht haben wollen, bis hin zum Stress. Ein weiterer Aspekt in der Entspannung ist: Entspannung kann nur dann eintreten, wenn Bedürfnisse befriedigt sind. Das heißt, nur dann, wenn dein Hund ausreichend Futter, Wasser, Bewegung, Ruhe zur Verfügung hat, wenn er sich sicher fühlt. Nur dann kann Entspannung tatsächlich einsetzen, d. h. Entspannung kann nicht erzwungen werden.

Jetzt sagst du vielleicht zu mir anderen klingt doch alles logisch. Aber es war jetzt gerade letzte Woche noch so, dass in meiner Facebook-Gruppe Empfehlungen kamen, wie z.B. Man legt den Hund auf die Seite und sorgt dafür, dass er solange auf der Seite liegen bleibt, bis er entspannen wird. Das ist keine Entspannung in dem Sinne, das ist Selbstaufgabe. Und es ist eine Erniedrigung eines Wesens, die absolut nicht unseren Werten entspricht oder sowas wie „Wir binden den Hund an oder treten auf die Leine und warten, bis er wieder ruhig wird.“ Macht überhaupt keinen Sinn.

Der Schrei nach Ruhe

Auch so etwas wie: der Hund bellt im Auto und du wartest so lange mit dem Tür aufmachen bisher vor Erschöpfung aufgehört hat zu schreien, macht keinen Sinn. Und ja, diejenigen von euch, die schon länger hier lauschen oder auch schon länger mit ihren Hunden, ähnlich wie wir leben und arbeiten, die sagen jetzt „Das ist doch alles logisch“. Nur schau dich wirklich mal um. Es ist immer noch ganz, ganz, ganz verbreitet, dass man nur warten muss, bis der Hund sich abregt.

Und dann lernt er sozusagen, dass er ruhig sein soll. Was er lernt, ist, den Fang zu schließen oder zu sitzen. Aber dadurch ist er ja noch lange nicht innerlich entspannt, sondern er pulsiert . Er zittert und da ist ganz viel Energie drin und die muss sich irgendwo entladen. Und wenn du mit deinem Hund im Alltag irgendwo Probleme hast, wo sich Anspannung entlädt, wo er wirklich von Null auf 180 reagiert, dann lohnt es sich richtig, richtig gut hin zu gucken

 

Wo im Alltag baue ich denn diese Anspannung tatsächlich auf?

 

Wo im Alltag hab ich überall Situationen, wo mein Hund eben keine Sicherheit hat, wo er sich nicht entspannen kann, wo ich auf Ruhe statt auf Entspannung sitze, ersetze und wo im Alltag kann der auch mal Dampf ablassen? Wo hat er seinen Spaß, wo kann der auch mal richtig die Sau rauslassen? 

Dann brauchst du nämlich diese ganzen Zwangsruheübungen, die niemals zu echter Entspannung, sondern eher zu dem Bereich Depressionen, erlernte Hilflosigkeit oder einem Schnellkochtopf mit viel Dampf drin und dann, wenn das Ventil aufgeht, entlädt es sich schnell und impulsiv führen.Die brauchst du dann alle nicht. 

Der Schrei nach Ruhe

Das ist nicht mein Ziel, dass du dich mit deinem Hund z.B. an eine Hundewiese setzt und fünf Stunden Hunde beobachtest, wenn er dabei schon zittert und teilweise angespannt ist. Sondern Ziel ist es, dass du mit deinem Hund in Situationen gehst, die er gut aushalten kann, die ihn vielleicht auch ein bisschen Mühe kosten, in denen du aber bitte nicht lange bleibst. Wie lange, hängt sehr von deinem Hund ab und hier richtig gut und lohnenswert dem Hund mitteilst, dass sich dieses Verhalten lohnt und immer wieder für ihn Sicherheit und Pausen herstellst, in denen er sich dann tatsächlich entspannen kann.

Ansonsten, wenn du an der Stelle den Bogen überspannst, dann reißt dir halt die Sehne und dann schießt dir das Erregungslevel viel zu schnell durch die Decke. Du verknüpfst die Situation mit Frust und dann hast du eben solche Sachen wie Fiepen, Winseln, Erregung, Bellen oder Hochspringen. Alles, was sich nicht nach vorne oder zur Seite entladen kann, entlädt sich dann eben vielleicht nach oben. Oder du hast sowas in stationären Varianten, z.B. exzessives Buddeln oder solche Sachen.

 

Das sind alles Symptome und nicht die Ursachen

 

Die Ursachen liegen woanders. Es ist ganz, ganz häufig Frustration. 

Nochmal zusammengefasst: Verwechsle nicht Ruhe mit Entspannung. Wenn du ein ruhiges Verhalten mit deinem Hund trainieren willst, stationäres Verhalten, dann trainiere ganz gezielt das Sitz, Platz oder bleib auf einer Decke, bleib stehen, was auch immer. Trainiere das kleinschrittig, ohne Frustration. Umso niedriger wird dabei die Erregung und die Anspannung sein. Sorge dafür, dass es für ihn lohnenswert ist, wenn du mit deinem Hund Entspannung möchtest.

Entspannung kannst du nicht erzwingen, sondern die entsteht dadurch, dass dein Hund gute Strategien bekommt, die sich für ihn lohnen, die sich für ihn gut anfühlen. Deswegen dann solche Sachen machen, wie z.B. kurz in Momente reingehen, wo er gut andere Hunde oder Radfahrer oder was auch immer eure Herausforderung ist beobachten kann, wo du gutes Verhalten, wie z.B. Stehen und das Beobachten belohnen kannst. Sei da richtig, richtig großzügig und sorge dann wieder für ausreichend Erholungspause. 

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Und wenn du Baustellen hast, wo dein Hund eben schon super super erregt ist: Lautäußerungen, vor Erregung zittern etc. dann gucke mit deiner Begleitung oder auch gerne mit uns hin, dass du da neue Strategien für deinen Hund aufbaust, die mit gar nicht so hoher Erregung verknüpft sind und die sich für ihn in dem Moment besser anfühlen und auch für dich. 

Alle Ruheübungen, die über fixieren, Signale, die der Hund nicht von alleine auflösen darf, weil er sonst mit Ärger rechnet etc. aufgebaut werden, kosten deinen Hund extrem viel Impulskontrolle, erhöhen die Grundspannung oder sorgen dafür, dass sein Wohlbefinden auch wirklich auf Dauer schlechter wird und sind an der Stelle gegebenenfalls das, was wirklich die Anspannung auch erzeugt. Deswegen kann ich dir nicht raten, auf diese zu setzen. 

Ich hoffe, dass dir diese Episode geholfen hat, dass du sie spannend fandest. Ich empfehle dir nochmal bei uns im Blog vorbei zu gucken und vielleicht auch unseren kostenfreien Trainingsguide “Do it yourself für Begegnungstraining”.  Da bekommst du von mir auch nochmal eine ganze Menge Anregungen, wie du Begegnungstraining so gestalten kannst, dass eben genau das geübt werden kann: Andere Dinge beobachten, ohne dass dein Hund in die Überforderung kommt. Ich wünsche dir viel viel Freude damit.

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