Hundekontakte hinterfragt
Ein Mythos, der seinesgleichen sucht, die Frage nach dem richtigen Maß und der Notwendigkeit von Kontakt zu anderen Hunden. Bei vielen „Hundeveranstaltungen“ bekomme ich das Gruseln, denn die Hunde lernen dort nicht gutes Sozialverhalten, sondern Mobbing, Unterdrückung, Aggressionsverhalten oder Hilflosigkeit. Betrachtet man diese Veranstaltung mit etwas Distanz und ohne Glaubenssätze, wie „der Hund muss in eine Welpenspielstunde um vernünftig sozialisiert zu werden“ oder „aber er braucht doch Hundekontakt“ und hinterfragt, was der Hund dort eigentlich sieht, praktiziert und somit lernt, wird das schnell offensichtlich.
Ich meine hiermit nicht nur Welpenspielstunden oder Raufergruppen, sondern auch das, was ich sehe, wenn ich mich auf Hundewiesen, in Parks bewege und so manche Gassigruppen beobachte. Wer die Stressanzeichen von Hunden lesen lernen will, kann hier mehr als genug Erfahrungen sammeln. Wie du Stress beim Hund erkennst, erfährst du hier und in diesem Artikel gebe ich dir 15 Anzeichen, wie du Überforderung beim Hund erkennen kannst.
Umgekehrt blutet mir das Herz, wenn ich Hunde sehe, die keine Kontakte haben und dadurch immer weiter in ihrem Ausdrucksverhalten verkümmern.
Hunde brauchen gute Hundekontakte, auf unangenehme Erfahrungen können sie verzichten! Es geht also nicht um die Anzahl oder das „ob“, sondern vor allem um das WIE.
Was ist denn ein guter Hundekontakt?
Aus biologischer Perspektive macht es keinen Sinn, jeden anderen Hund zu vertreiben, wild hinzustürzen und dabei alles außer Acht zu lassen, mit fremden Hunden zu spielen oder sofort panisch vor ihnen zu fliehen.
Was Sinn macht, ist mit einer gewissen Skepsis den anderen erst einmal unter die Lupe zu nehmen. Wusstest du zum Beispiel, dass Artgenossen zunächst immer in Gehirnregionen registriert und bewertet werden, die eher für Angst und Aggression zuständig sind?
Es macht also Sinn, vorab durch alle Sinneskanäle Informationen zu sammeln und sich dann eventuell vorsichtig anzunähern, wenn der andere als Sozialpartner spannend ist oder als Konkurrent näher betrachtet werden soll.
Dabei ist der Hund immer zwischen Neugier und Interesse, sowie der Gefahr, die aus der Annäherung eines durchaus potentiell wehrhaften Individuums hin- und hergerissen.
Wie sieht eine solche Annäherung vor einem Hundekontakt aus?
Welche Strategie dein Hund wählt, hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu gehört:
seine Lerngeschichte: Welche Annäherungen haben sich aus seiner Perspektive bisher gelohnt?
seiner Verfassung: Welche Emotionen, Erregung und Erwartungen sind aktiv? Wie erschöpft ist er vielleicht?
die Umwelt: Welche Möglichkeiten gibt, es sich anzunähern? Wie viel Freiheit hat der Hund aus seiner Perspektive? Welche anderen attraktiven oder bedrohlichen Reize gibt es? Zur Umwelt gehören auch sein Mensch und etwaige Gruppenmitglieder.
aktuelle Lebensphase: Welchen Hormonstand hat der Hund? In welcher Entwicklung befindet er sich gerade? Wie groß ist z.B. das Fortpflanzungsbedürfnis?
anwesende Ressourcen: Welches Risiko geht der Hund ein, was könnte er verlieren oder gewinnen?
Folgende Punkte sind Indizien für die Motivation der Annäherung:
Freundliche Annäherungen sind gepaart mit weichen Bewegungen und Bögen.
Abwenden, schnüffeln am Wegesrand und andere verlangsamende Bewegungen sorgen für eine längere „Informationssammelzeit“ aus der Distanz.
Schnelle Bewegungen auf den anderen zu, haben die Absicht, den anderen zumindest kurz zu stoppen. Je frontaler und gerader, desto deutlicher die Absicht.
Spielverhalten mit fremden Hunden deutet auf Konflikte hin, auch die Vorderkörpertiefstellung ist eine Konfliktgeste: Sie ist die ideale Körperhaltung um in alle Richtungen agieren zu können.
Für mich ist ein guter Hundekontakt einer bei dem die Hunde sich in weichen Bewegungen annähern, vorsichtig Kontakt aufnehmen – z.B. sich gegenseitig in der Analregion beschnüffeln und dann entweder zu einer freundlichen Interaktion oder dem Weitergehen übergehen. Das geht im Übrigen auch an der Leine. Wann du es an der Leine zulassen kannst, habe ich dir in diesem Artikel beschrieben.
Signale, wie das Bedecken der Analregion (Kontaktzentrale zu), sollten vom anderen Hund gelesen und angenommen werden. Auch, wenn ein Hund sich aus dem Kontakt entzieht und mit dem Absetzen von Urin signalisiert, dass er gestresst ist, sollte akzeptiert werden.
Sehe ich, dass meine Hunde diese Signale nicht annehmen, unterstütze ich sie dabei, damit sie den anderen nicht bedrängen.
Wir als Hundehalter:innen können an der Stelle viel beeinflussen. So gehe ich immer ein kleines Stück weiter und drehe meine Körperfront in die Richtung, in die ich weiter will, wenn meine Hunde im Nahkontakt sind. Natürlich gucke ich dabei neugierig über die Schulter, was sie tun. Würde ich an Ort und Stelle und mit der Körperfront dabei bleiben, würde ich den Raum verringern und meine Hunde vielleicht länger in den Kontakt drücken, als sie sich wohlfühlen.
Das Vertreiben von Konkurrenten findet bei den meisten Wildtieren im Übrigen ausschließlich zu den Fortpflanzungs- und Brutzeiten statt. Es wäre eine absolute Energieverschwendung und viel zu risikoreich, jedem sofort an die Kehle zu gehen. Statt es in die Flucht zu schlagen oder blindlings zu fliehen, wäre hier ein normales Verhalten für mich: das Sammeln von Informationen auf Distanz und dann Abwenden, im Bogen weitergehen oder im Auge behalten und passieren zu lassen.
Wofür ist Hundekontakt wichtig?
Egal, wie gut die Beziehung zu dir ist. Du bist kein Hund. Somit kannst du auch nicht alle Aspekte einer Hund-Hund-Beziehung erfüllen. Soziale Fähigkeiten und Kommunikation brauchen Übung, sonst wird sie hölzern.
Dabei geht es jedoch nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Wer immer nur Small Talk hält, lernt keine lösungsorientierten Konfliktgespräche, oder?
Wer immer nur brüllt im Streit, lernt nicht, dem anderen zu lauschen.
Es geht also nicht um wahllose Hundekontakte, wie du sie häufig auf einer Hundewiese oder im öffentlichen Raum hast, sondern um den Aufbau echter Beziehungen.
Für die Hundewiese und den öffentlichen Raum, macht es Sinn, dass du mit deinem Hund Strategien aufbaust, wie er diese Situationen gut meistern kann.
Doch für wirklichen Kontakt und Beziehungsaufbau wirst du spezielle Zeit und Energie investieren dürfen.
Es geht um deinen Hund – wähle die Hundekontakte entsprechend aus.
Na klar ist es toll, wenn deine Freundin oder der nette Nachbar auch einen Hund hat und es so einfach für dich ist, Kontakte herbeizuführen. Doch können die Hunde etwas miteinander anfangen? Nach der Kennenlernphase soll sich ja eine Freundschaft entwickeln.
Es muss ja nicht die große Liebe sein, aber erkunden sie gemeinsam? Gehen sie zusammen auf Spurensuche oder zeigen schon mal Spieleinheiten? Nähern sie sich in weichen, lockeren Begegnungen unterwegs an?
Oder schiebt der eine den anderen regelmäßig vom Grashalm weg?
Wählen sie, entweder nur noch am Besitzer zu kleben oder gar nicht mehr in der Nähe zu sein? Werden sie regelmäßig steif, wenn der andere sich nähert, oder ducken sich ab? Dann ist es wohl eher keine Freundschaft.
Klar lernt dein Hund so auch etwas, aber nicht, dass Hundekontakte toll und erfüllend sind.
Wenn dein Hund andere Hunde einfach nur ätzend findet…
… hast du noch einiges an Training vor dir. Meiner Erfahrung nach sind Social Walks eine tolle Gelegenheit, um herauszubekommen, ob es nicht doch einen Hund gibt, den dein Hund vielleicht nicht ganz blöde findet. Mehr zu Social Walks findest du in diesem Artikel.
Ich würde an der Stelle viele gute Trainingsgelegenheiten suchen, sodass dein Hund lernen kann, mit anderen gut umzugehen und vielleicht doch ein wenig Neugier zu entwickeln. In unserem Trainingsguide stellen wir dir mehrere Wege vor, wie du Begegnungstraining selber organisieren kannst.
Und solange kannst du den anderen Hund sinngemäß in seine Einzelteile zerlegen. Suche dir Gelegenheit an Hundespuren, Sichtungen und Erwartungen zu üben und diese mit angenehmen Erlebnissen zu verknüpfen. So kann dein Hund die Komponenten anderer Hunde mit neuen Strategien und Bewertungen verknüpfen. Idealerweise gehst du Begegnungen, bei denen dein Hund ausrastet solange aus dem Weg, bis du neue Strategien etabliert hast. Mehr dazu in diesem Artikel.
Gilt das auch für Mehrhundehalter:innen?
Ich finde schon. Klar, die gemeinsame Kommunikation wird geübt. Die Dringlichkeit mag damit ein wenig sinken. Doch die meisten Hundegruppen werden von uns Menschen zusammengestellt, unsere Hunde haben sich nicht Freunde ausgesucht, sondern wir Artgenossen ins Haus geholt.
Der Mitbewohner ist also noch lange kein echter Kumpel oder gar ein richtig dicker Freund. Ist das der Fall, spitze! Das Thema Hundekontakt rückt damit in seiner Bedeutung weit nach hinten.
Ist das nicht der Fall – und das ist meistens so – dann wäre es immer mein Ziel, auch noch Hundefreunde für jeden zu finden.
Und wenn mein Hund keine Kontakte haben kann?
Dann hast du zwei Aufgaben:
Sei der bestmögliche Ersatz.
Gehe die Ursachen nach und nach an.
Ja, ich kenne auch Hunde, bei denen ich denke, dass sie in diesem Leben keine Freunde mehr finden. Doch dann ist es unsere Aufgabe, als Hundehalter:innen und Trainer:innen dafür zu sorgen, dass wir auf dem Weg wenigstens so weit wie möglich kommen. Das bedeutet für mich:
das nicht jede Sichtung Stress auslösen darf.
Begegnungen trainiert werden. (Wie du ins Training einsteigen kannst, erfährst du hier.)
wir Menschen dafür sorgen, dass er möglichst viele andere Bedürfnisse erfüllt bekommt.
Es ist wie immer: Setze dir das Ziel und wenn es weit entfernt ist, schau, welche Etappenziele euch helfen und dass der Weg bereits viele Bedürfnisse erfüllt.
Und noch einmal: Es geht nicht um Quantität! Einen Freund zu erarbeiten ist mehr wert, als jeden Tag einen Hund zu treffen.
Die Sache mit der Mehrhundehaltung
Ich bin begeisterte Mehrhundehalterin. Auch wenn meine Gruppen nicht immer harmonisch waren und wir einiges mitgemacht haben. Unsere beiden Mädels sind heute gute Partnerinnen füreinander, vielleicht sogar Freundinnen.
Doch ehrlich gesagt: Sie hätten viele Jahre gut aufeinander verzichten können.
Ich halte nichts davon einen weiteren Hund anzuschaffen, weil der bisherige Probleme mit fremden Hunden hat. Zum Einen werden die Spaziergänge nicht einfacher und zum Anderen das Zusammenleben nicht unbedingt harmonischer.
Mal ganz davon ab, ist es dem Neuzugang gegenüber auch nicht unbedingt fair.
Ich kenne einige Hunde, die draußen (mittlerweile) gut mit anderen zurechtkommen, aber auf dauerhafte Gesellschaft verzichten können. Es ist ein Unterschied, ob man sich für gesellige Zeiten trifft oder zusammenlebt.
Mehr zum Thema Mehrhundehaltung erfährst du im Blogartikel: Mehr Hunde – mehr Glück? und in Podcast Episode #54.
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Hi, ich bin Anne. Gründerin von “Anders mit Hund” und der Anne Bucher Akademie. Meine Vision ist es, dass jede:r Hundehalter:in kompetente Unterstützung an der Seite hat um ein bedürfnisorientiertes Leben mit Hund:en zu führen! Ich freue mich, wenn ich deine Unterstützung sein darf!
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