Welpenstunden – der Grundstein für Asozialisierung?
Wenn ein Welpe einzieht, ist der erste Gedanke häufig der an die Welpenstunden oder Welpenspielstunden. Der kleine Racker soll nun gut sozialisiert werden, genug Kumpels treffen und wohlerzogen werden. Die meisten Welpenstunden erreichen das Gegenteil. Welpenspielstunden sind für mich der erste Schritt auf dem Weg zu Leinenpöbelei und anderen Problemen.
Was ist der vermeintliche Sinn hinter Welpenstunden?
Hinter Welpenstunde, Welpenspielstunde oder Welpenkurs verbergen sich unterschiedliche Formate mit unterschiedlichen Schwerpunkten oder Konzepten. Da es keine allgemeingültige Definition gibt, lohnt es sich bei deiner ins Auge gefassten Hundeschule nachzufragen, was sich bei ihnen dahinter verbirgt und, ob du dir eine solche Stunde im Vorfeld mal ansehen kannst.
Meistens sind die Inhalte auf einen der drei Punkte oder eine Mischung fokussiert:
- Sozialisierung.
- Lernen der wichtigsten Signale für den Alltag. Hier wird auch gerne von „Grunderziehung“ oder „Grundgehorsam“ gesprochen.
- Beantwortung deiner Fragen.
Lass uns diese drei Punkte näher betrachten.
Sozialisierung von Hunden – meistens missverstanden
Vom 20. – 84. Lebenstag befinden Hunde sich in der „Sozialisierungsphase“. In dieser Zeit werden bestimmte Verknüpfungen und Verhaltensweisen besonders leicht gelernt. Darunter das Sozialverhalten und Dinge, wie die Beißhemmung. Welpen werden in der Zeit motorisch aktiver und die Sinnesorgane verarbeiten Reize gut. Ab dem 15. Lebenstag ist Lernen an Konsequenzen möglich. Hunde beginnen Verhaltensweisen mit darauf folgenden Ereignissen zu verknüpfen. Nun ist es aus biologischer Perspektive wichtig, dass die kleinen Racker schnell lernen, wie sie sich in ihrer aktuellen Umwelt gut bewegen und in der Gruppe gut zurechtfinden können. Ab hier ist die Kinderstube besonders wichtig, denn nun wird auch gelernt, ob man sich besonders durchsetzen muss um Futter zu bekommen oder andere Bedürfnisse zu stillen. In unserer Podcast Episode #49 über „Gute Züchter“ gehen Anja und ich näher darauf ein, welche Probleme sich hier entwickeln können bzw. worauf gute Züchter in dieser Zeit achten.
Der Begriff „Phase“ suggeriert uns Menschen, dass danach dieses Lernen abgeschlossen ist. Das ist Blödsinn. Denn spätestens seit der Entdeckung der Neuroplastizität, der Fähigkeit des Gehirns zur Weiterentwicklung, weiß man, dass nicht nur Hänschen, sondern auch Hans lernen kann. In der Sozialisierungsphase – die man besser sensible Phase nennen würde – lernt der Welpe lediglich bestimmte Sachen sehr schnell. Es ist nicht die einzige Gelegenheit diese Sachen zu lernen.
Warum ein Welpe in der Sozialisationsphase eigentlich noch gar nicht bei dir sein sollte
Schon länger weiß man, dass Hunde, die vor der 12. Lebenswoche von Geschwistern oder Mutter getrennt wurden, schneller ein Problem mit Trennungsstress bekommen. Der Forscher Adam Miklosi weist seit Jahren stetig daraufhin. Auch ist ein grenzüberschreitender Transport ohne Mutter für Welpen unter 12 Wochen in der EU verboten – aus gutem Grund. Die sensible Phase ist kein guter Zeitpunkt um das Umfeld zu wechseln. Trennungsstress und – ängste, Stressempfindlichkeit und Sensibilität können steigen. Dazu gehen den Hunden wichtige Wochen zwischen den Artgenossen verloren. Leider ist die 8. Woche dennoch als Abgabezeitpunkt weiterhin begehrt… Wenn die Mutter nicht sehr leidet oder die Kinderstube eine Katastrophe ist, wäre es sinnvoller den Welpen noch im vertrauten Umfeld zu lassen und ihn erst nach der 12. Woche und damit nach der Sozialisierungsphase zu dir zu holen.
Was ist die Gefahr der Welpenspielstunde?
Auch wenn uns die Herzen in die Augen schießen, wenn wir Welpen spielen sehen, ist es nicht das A&O im jungen Alter, sich mit möglichst vielen Artgenossen zu balgen. Gerade in den ersten Wochen nach dem Einzug sollte es sich primär um das Kennenlernen deines häuslichen Umfeldes drehen. In meinem Artikel „Welpen – 5 Dinge für den gut vorbereiteten Einzug“ kannst du mehr zu den ersten Wochen lesen.
Die Gefahr der Welpenspielstunden besteht aus vielen Faktoren:
Hundekontakte werden mit Erregung verknüpft
Besteht eine Welpenstunde zum großen Teil aus Spiel, werden sowohl alle dort getroffenen Artgenossen, als auch der Ort mit Erregung verknüpft. Damit lernt dein Hund vor allem eines in Begegnungen: ACTION! Das kann dir im Alltag zum Verhängnis werden – spätestens dann, wenn er nicht mehr so klein und knuddelig ist, dass die Leute sich freuen, wenn er auf sie zustürmt und du ihn mehr einschränkst.
Wenn du zudem vor hast auf dem selben Hundeplatz auch andere Sachen zu trainieren, legst du dir weitere Steine in den Weg. Erfüllst du in Zukunft hier die Erwartung nach Action und Spiel nicht, entsteht Frustration und damit eine der größten Lernblockaden überhaupt.
Drei sind einer zu viel – 15 sind 13 zu viel
Wenn du jetzt denkst – 15 ist ja auch immer zu viel, hast du recht. Ich kenne „Welpentreffs“ da sind auf mehreren Plätzen zeitgleich 30 – 50 Welpen aktiv. Mein persönlicher Horror und ich meide solche Orte. Sie waren ein Grund, weshalb ich als Referentin nach und nach immer weniger Hundezentren aufgesucht habe.
Ein schönes Spiel besteht aus verschiedenen Elementen, zu denen es auch immer wieder gehört, dass alle Teilnehmer:innen sich zeitgleich zurücknehmen, innehalten und checken, ob es noch Spiel ist. Je größer die Gruppe, desto unwahrscheinlicher, dass sich genau diese Dinge einstellen. Auch andere wichtige Elemente von Spiel funktionieren in großen Gruppen nicht. Der Aspekt des Übens von gutem Sozialverhalten verschwindet unter der Oberflächlichkeit der Gruppe.
Mobbing, Asozialisierung und Beziehungskiller
Doch nicht nur die Oberflächlichkeit wird zum Problem. Je größer und heterogener eine Gruppe, desto wahrscheinlicher, dass einzelne Hunde überrannt, in die Ecke gedrängt oder gemobbt werden.
Wenn nun auch noch der Rückzug zum Menschen verwehrt wird, lernt der Welpe zwei Dinge:
- Meine Menschen bieten keine Sicherheit.
- Ich muss mich Artgenossen schnell und hart gegenüber durchsetzen um geschont zu werden. Oder alternativ: Klein machen und zurückziehen.
So entstehen Rüpel und Schisser. Für beide wird es umso dramatischer, wenn diese Strategien im Alltag nicht funktionieren, weil z.B. die Leine dran ist.
Menschliche Beutegreifer?!
Wenn Menschen diese wilden Truppen „managen“, greifen sie oft von oben und plötzlich ein. Das tun vor allem Beutegreifer und das macht Angst. Ganz egal, ob es mit den Händen oder der Wasserflasche ist. Die Erfahrungen sind nicht angenehm und die Wahrscheinlichkeit von Konfliktverhalten gegenüber Menschen wird größer. Das kann sich dann sowohl in Ängsten als auch in Dingen wie aufreiten oder anspringen äußern.
Wenig Stimulation für das Gehirn
Damit ein Pulk Welpen gefahrlos spielen kann, darf das Gelände nicht stark strukturiert sein. Ein unstrukturiertes, ablenkungsarmes Umfeld gibt aber keine Alternativen und damit wenig Stimulation für das Gehirn. Es ist zwar „Auspowern“, aber nicht wirklich eine Förderung. Sondern lediglich ein Dampf ablassen – nur, dass der nicht selten erst wegen des falschen Umgangs entsteht.
Wer mit mehreren Welpen gleichzeitig agieren will, sollte ihnen Möglichkeiten zur gemeinsamen Erkundung und dem Sammeln schöner gemeinsamer Umwelterfahrungen und Inspiration bieten.
Welche Lerneffekte brauchst du wirklich für den Alltag?
Die Frage lautet doch: In welchem Umfeld möchtest du dich mit deinem Hund bewegen und wie soll er sich Artgenossen gegenüber verhalten?
Macht es wirklich Sinn, dass er sie primär mit Action und Toberei verknüpft, wenn du später in mindestens 50% der Fälle von ihm erwartest, dass er ohne große Reaktion an ihnen vorbeigeht?
Nein! Was du für den Alltag brauchst, ist ein Hund
- der gute Nahkontakte kann. Wie diese Aussehen, habe ich dir in meinem Artikel „Hundekontakte hinterfragt“ beschrieben.
- an der Leine Kontakte meistern kann, falls jemand zu euch kommt. Lies dazu gerne meinen Artikel „Warum Kontakt an der Leine nicht tabu ist“.
- sich so sicher wie möglich zurückrufen lässt.
- gerne zu dir kommt, wenn er Sicherheit benötigt.
- sich in eurem häuslichen Umfeld gut entspannen und erholen kann.
Das alles ist in der Regel nicht Inhalt einer Welpenspielstunde!
Sollte mein Welpe in die Hundeschule?
Okay, wenn schon keine Welpenspielstunde, dann doch bitte eine Welpenstunde, oder? Das kommt darauf an….
Auch bei Welpenstunden und Kursen die nicht primär dem Spielen gewidmet sind, bin ich skeptisch. Aber ja, es gibt auch ganz gute und wenn dann noch die Rahmenbedingungen stimmen, kann es sinnvoll sein.
Allerdings nicht, wenn
- jede Woche ein anderer Ort auf dem Zettel steht oder das Training nur auf einem Platz ist.
- mehr als drei Mensch-Hunde-Teams teilnehmen.
- das Training für deinen Welpen mit einer größeren Anreise als 15 Minuten verbunden ist.
- nicht über Bedürfnisbefriedigung, Entspannung und Belohnungen gearbeitet wird.
Was macht welpengerechtes Training aus?
Welpen haben eine extrem kurze Aufmerksamkeitspanne, ein ausgeprägtes Neugierverhalten und brauchen zugleich sichere Ausgangspunkte und viel Entspannung.
Ein welpengerechtes Training widmet sich den Themen Körpersprache, Erregung, Entspannung, Bedürfnisbefriedigung und Lernverhalten.
Wesentliche Inhalte sind Medical Training, das Handling und Pflegemaßnahmen, sowie erste wichtige Alltagsdinge, wie Rückruf oder Leinenführigkeit.
Die Einheiten sind immer nur ein paar Minuten und finden idealerweise im Alltag der Menschen statt. Einheiten an einem Trainingsplatz sind eher dafür, dass die Menschen die Übungen unter Anleitung lernen, als für den Hund. Mein Favorit ist es daher, sie direkt online zu machen.
Die Zeiten richten sich nach den Wach- und Schlafphasen des Welpen.
Fragestunden gibt es nur, wenn der Welpe eigenständig beschäftigt ist oder von alleine schläft.
Wenn es in Gruppen vor Ort stattfindet, sind die Gruppen mit maximal 3 Teams besetzt und das Umfeld für die Hunde spannend und stimulierend zum gemeinsamen Erkunden. Dazu werden von Beginn an Rückzugsorte für jedes Team eingerichtet.
Welpenstunden vernünftig zu gestalten ist schwerer als alles andere – nicht zuletzt, weil durch jahrelange Mythen die Kund:innen hier eine Erwartung haben, deren Erfüllung ungesund für den Hund wäre.
Das ist einer der Gründe, weshalb du bei mir keine Welpenstunden findest. Im Einzeltraining begleitend zu “Ein echtes Team” oder manchmal in speziellen Formaten für regionale Welpeneltern, liebe ich das Training mit Welpen.
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