Die Körpersprache deines Hundes – Kenne die Basics
Stundenlang könnte ich Lebewesen zusehen. Egal bei was. Ihre Bewegungen zu beobachten, schult mein Auge. So lerne ich immer schneller zu erkennen und zu erfassen.
Mein Mann hasst dieses Beobachtungsauge, denn es beschränkt sich nicht auf Tiere. Jede kleinste Bewegung ist spannend und verrät uns viel. Oft nehmen wir sie unbewusst wahr. Dann deuten wir sie, ohne darüber nachzudenken.
Das Problem an diesen Deutungen: Wir fällen sie rein emotional und oft entstehen dabei kausale Irrtümer. Wie oft hast du schon gedacht, der andere reagiert wertend auf eine deiner Aussagen. Dabei hat der einfach ein Ziehen im Bauch, an den letzten Besuch beim Zahnarzt gedacht oder er hat sich an Ähnliches erinnert … Ein Missverständnis, wie es sie tausendfach jeden Tag vorkommt.
Das sogenannte „schnelle Denken“ ist schuld. Wir nehmen die Interpretation, die uns am geläufigsten scheint, die wir am häufigsten gehört haben. So schleppen sich Mythen von einer Generation in die nächste. Das gilt auch beim Thema Hund. Hunde werden verurteilt als stur, dominant, dumm, weil wir ihnen unser menschliches Denken überstülpen und das immer wieder weitergeben.
Das Kategorisieren ist eine der Hauptfunktionen unseres Gehirns. Es will die Dinge schnell einordnen und verstehen, sie abstempeln und wegpacken. Denn dann braucht es wenig Energie.
Neue Gewohnheiten zu etablieren, ist zu Beginn anstrengender, auf Dauer erweitert es deine Möglichkeiten und vor allem optimiert es nicht nur dein Training, sondern es macht die Beziehung zu deinem Hund tiefer und das Leben leichter! Wenn du deinen Hund verstehen und eine gute Bezugsperson für ihn sein willst, beginne ihn zu lesen.
Scanne nicht die Umwelt, sondern deinen Hund!
Gehörst du zu denjenigen, die immer die Umwelt im Blick halten, weil der Hund gleich etwas anstellen könnte? Das ist anstrengend und nicht sicher. Wenn du lernst, deinen Hund zu beobachten, hast du viel bessere Vorhersagen zu seinem Verhalten. Du kannst angepasst reagieren und erkennst Fortschritte und Herausforderungen im Alltag sicherer.
Auf Dauer werden deine Spaziergänge damit deutlich gelassener und entspannter!
Das Lesen der Körpersprache besteht für mich aus:
Verhalten wahrnehmen.
Wertneutrales beobachten und beschreiben.
Verhalten interpretieren.
Interpretation als Hypothese betrachten und mindestens eine weitere aufstellen.
Mehrere Hypothesen schützen uns vor vorschnellen Interpretationen und vor allem fixen Fehlinterpreationen. Eines meiner Lieblingsbeispiele der Fehlinterpretationen ist das Stehen und Gucken. Mehr dazu findest du im Artikel „Guckt der noch oder fixiert der schon“.
Was ist denn Ausdrucksverhalten oder Körpersprache?
Für mich ist alles Ausdrucksverhalten und Körpersprache, was du sehen, hören oder tasten und messen kannst.
Dazu gehören:
sichtbare Bewegungen (von der Atmung bis zur Rutenbewegung).
Körperpositionen (von einzelnen Körperteilen, wie dem Ohransatz bis zum ganzen Körper).
Lautäußerungen ( Art, z.B. bellen oder jaulen, Tonlage, Rhythmus).
Ausscheidungen (u.a. Speichel, Urin, Kot, Schweiß, von der Menge bis zur Konsistenz).
„Erregung“ ist kein Verhalten. Es gibt Verhaltensweisen, die auf Erregung deuten. Auch „Stress“ ist kein Verhalten, sondern du kannst ihn an Verhalten erkennen. Welche klassischen Signale es gibt, habe ich dir hier zusammengefasst. Ausdrucksverhalten zu erkennen hilft uns, Interpretationen über mögliche Gemütszustände aufzustellen.
So übst du dein Auge
In unserer Ausbildung zur Hundetrainerin gibt es neben den Beobachtungsaufgaben an Hunden auch immer wieder die Aufgabe Menschen, Pferde oder andere Individuen zu beobachten. Der Hintergrund ist einfach: Je weniger wir uns auskennen, desto sauberer beobachten wir. Ich liebe es z.B. Schnecken, Insekten und andere Tiere zu beobachten, von denen ich null Ahnung habe. So kann ich wertneutral beschreiben. Versuch es mal, beschreibe die Bewegungen eines Schneckenkörpers oder Fühlers, während du ihn betrachtest. Das Schneckentempo ist sehr von Vorteil und ersetzt dir jede Videozeitlupe. Auch Weidetiere sind prima dafür geeignet. Einfach ein paar Meter vom Zaun entfernt hinsetzen und ruhig beobachten und Notizen machen.
Wenn du Gelegenheit hast, deinen Hund immer mal wieder zu filmen, dann mache dir Filme von typischen Situationen ohne große Herausforderungen und übe dich dort im Beschreiben. Starte mit Filmen von weniger als 15 Sekunden, du wirst eine Menge zu tun haben. Solltest du nun denken, dass dir das nicht für den echten Moment hilft, wenn du es immer wieder abspielst und Zeitlupenfunktionen nutzt: DOCH, tut es. Denn du trainierst deinen Blick und kannst somit immer schneller werden und mehr erfassen.
Wenn du live und in Farbe beobachtest, picke dir zunächst immer einen Aspekt heraus. Es übt im Übrigen zugleich deine Willenskraft und Konzentrationsfähigkeit, wenn du dich davon nicht abbringen lässt. Du kannst zum Beispiel die Ohrenhaltung eines Ohres oder die Rutenbewegung nehmen. Gerade die Dinge, die du von hinten siehst, finde ich wichtig, denn meistens laufen Hunde im Alltag vor uns. Du kannst auf jedem Spaziergang ein anderes Körperteil beobachten.
Wähle bei deiner Beschreibung immer Bezugspunkte am Hundekörper.
Die Rute ist über der Rückenlinie.
Der Fang ist nach links gewendet.
Der Körperschwerpunkt ist hinten.
Wählst du einen Bezugspunkt in der Umwelt, interpretierst du. Denn woher weißt du, ob ein Hund z.B. zum Wegesrand oder von dir wegguckt? Eine Formulierung wie, der „Kopf ist nach rechts gewandt“ ist wertneutral.
Wenn du mehrere Hunde und ihre Interaktionen beobachtest, zähle zunächst Distanzveränderungen. Welcher Hund nähert sich mehr an, welcher vergrößert die Distanz, welcher bleibt stationär?
Das rein Faktische beschreiben, zählen und messen ist zunächst anstrengend. Es erscheint uns schwergängig und kompliziert – das legt sich mit der Übung.
Die Schwerkraft
Wann immer ein Hund Muskelkraft aufbringt, um etwas gegen die Schwerkraft zu halten, hat das einen Grund. Ein Hund mit langer, gerader Rute, der im Trab die Rute nach hinten gerade lässt, balanciert den Körperschwerpunkt aus und vermeidet so unnötige Energie. Im Stehen wird er im entspannten Zustand die Rute vermutlich fallen lassen.
Solange ein Körperteil der Schwerkraft folgt und keine Muskelkraft zum Halten aufgebracht wird, solange gilt es gemeinhin als entspannt. Bei den Ohren und der Rute lohnt es sich, dabei auf den Ansatz zu schauen. Nur bei Ringelrutenträgern ist es weniger aufwendig die Rute oben zu halten, statt sie baumeln zu lassen.
Je mehr dein Hund gegen die Schwerkraft arbeiten muss, um die aktuelle Körperposition zu halten, desto höher ist die Muskelspannung und die aufgewandte Energie. Das geschieht nie ohne Grund, sondern hat immer etwas mit Erregung zu tun. Das gilt zum Beispiel auch für die eine angehobene Vorderpfote beim sogenannten Vorstehen, den hochgezogenen Lefzen oder der oft fehlinterpretierten „Bürste“, die eigentlich Piloerektion heißt und über die ich dir hier etwas geschrieben habe.
Weiße Augenränder „White Eye Response“
„Der Fang folgt den Augen“, merke dir das gut! Kannst du das Weiße in den Augen eines Hundes sehen, gibt es zwei mögliche Ursachen:
Das Auge ist geweitet und aufgerissen, das ist zum Beispiel bei Angst nicht selten. Durch das aufgerissene Auge, siehst du den unpigmentierten Rand.
Der Hund hat die Augen in eine Richtung gedreht, aber nicht den Kopf komplett. Etwas hemmt die Bewegung. Entweder möchte der Hund sich nicht vollständig von etwas abwenden oder eben nicht ganz zu etwas hinwenden. Du beobachtest also gerade einen Konflikt.
Konflikte sind häufig
Hunde haben oft Konflikte. Ein Konflikt bezeichnet erst einmal nichts anderes, als zwei aufeinandertreffende unterschiedliche Motivationen. Dazu an anderer Stelle und zu gegebener Zeit mehr. Entdeckst du an einem Hund unterschiedliche Bewegungsrichtungen zeitgleich oder im schnellen Wechsel, dann beobachtest du sehr wahrscheinlich gerade einen Konflikt.
Hier drei Klassiker:
Das Vorstehen
Dein Hund steht. Der Körperschwerpunkt ist vorne. Eine Pfote ist angehoben, es sieht aus wie eine ausgebremste Vorwärtsbewegung. Dein Hund ist starr. Der Impuls nach vorne, dem Wild hinterher zu gehen löst die Vorwärtsbewegung aus. Zugleich hemmt etwas den weiteren Gang nach vorne.
Das Resultat: Stehen mit angezogener Vorderpfote und hoher Muskelspannung.
Futter von Fremden
Nicht selten füttern fremde Menschen Hunde. Wie oft erlebe ich, dass der Besuch zum Beispiel füttern soll, damit er eine gute Beziehung zum Hund aufbaut. Kennst du die Hunde, die dabei einen ultralangen Hals und Rücken bekommen, sich gaaaanz weit nach vorne recken um mit spitzen Zähnchen das Bröckchen Futter zu schnappen und dann schnell wieder zurück? Das ist ein Konflikt und sollte nicht deine Strategie sein, Besucher attraktiver zu machen. Dein Hund lernt dabei nämlich eher, dass es sich richtig gut anfühlt, wenn er sich mit dem Keks entfernt.
Vor, zurück im Millisekundentakt
Dein Hund hat etwas entdeckt und springt schnell vor und zurück? Zur Seite und wieder vor? Vielleicht macht er sogar Andeutungen einer Vorderkörpertiefstellung? Dann ist er im Konflikt. Ja, ich weiß, wir denken oft, dass das einfach Spiel ist. Doch die Sache mit dem Nahkontakt ist etwas komplexer. Mehr dazu kannst, du in diesem Artikel lesen. Ein Indiz dafür, ob dein Hund wirklich Kontakt haben will, kann die „Kontaktzentrale“ sein.
Kontaktzentrale geschlossen!
Hunde mit einer langen Rute haben es gut. Wenn sie keinen Kontakt wollen, senken sie die Rute über die Analregion und decken diese ab. So geben sie den Artgenossen klar das Signal „Kontaktzone geschlossen“. Das ist auch ein Grund, weshalb viele Hunde es während des Fressens abdecken, auch wenn es teilweise als Angst oder Unwohlsein interpretiert wird.
Hunde ohne Rute oder mit Stummeln müssen sich anders helfen. Sie hüpfen mit dem Po weg oder setzen sich hin. Nicht selten interpretieren wir Menschen das falsch und denken, dass sie geduldig abwarten, bis der andere näher kommt, doch die vermeintliche Wartepose soll eigentlich nur den fehlenden Wunsch nach Kontakt zeigen.
Wenn dir ein Hund begegnet, der dies zeigt oder deiner das zeigt, respektiere es und nimm es wahr. Gehe der Begegnung aus dem Weg, damit er nicht in die Bredouille kommt.
Schnüffeln und langsames Gehen
Du gehst mit deinem Hund spazieren und auf einmal beginnt er zu trödeln, er senkt den Kopf ab und beginnt am Wegesrand zu schnüffeln? Vorsicht, es kann sich um eine Kommunikation mit einem anderen Hund handeln. Dein Hund deeskaliert, er verhält sich höflich und signalisiert zugleich dem anderen, dass er keinen Kontakt will. Wenn dein Hund im Übrigen grundsätzlich Befindlichkeiten mit Begegnungen hat, empfehle ich dir meinen Trainingsguide DIY – er ist kostenfrei und gibt dir viele Anregungen zum Trainieren von Begegnugen mit Hunden, Menschen und Objekten.
Es kann auch sein, dass sich von vorne etwas anderes nähert oder er von euch etwas erwartet, dass ihn ausbremst. Das ist dann meistens nichts Attraktives. Es muss für dich im Übrigen nicht sichtbar sein, eine Erwartung, ein Geruch oder ein Geräusch kann das ebenfalls auslösen.
Wichtig ist, dass du deinen Hund nicht einfach weiterziehst und so in die unangenehme Situation hineinzwingst. In meinem Blogartikel „12 Tipps für mehr Gelassenheit an der Leine“ erfährst du mehr dazu. Eine Lösung wären an dieser Stelle ein Laufmuster zu wählen, dass deinen Hund nicht gerade nach vorne drängt.
Ein Aspekt alleine reicht nicht
Ich werde es nie vergessen, wie einst ein Hundetrainer für einen Tierschutzverein mir erklärte, dass der Hund vor mir die Rute über der Rückenlinie trägt und dieses Dominazverhalten nicht das richtige Benehmen sei, um sich in die Gruppe vor uns einzufügen. Die Rute müsse abgesenkt sein, damit der Hund höflich sei. Es handelte sich um einen Ringelrutenträger. Er senkte die Rute in zwei Situationen ab: Bei starker Angst und, wenn Wild unmittelbar vor seiner Nase auftauchte. Der Hundetrainer schaffte es schnell, ihm verdammt viel Angst einzujagen. Das Resultat: In Zukunft verkroch er sich vor dem Rest der Hundegruppe und wenn sie ihm zu nahe kamen, attackierte er blitzschnell und heftig.
Ein Körperteil alleine gibt dir niemals den vollen Aufschluss. Deswegen üben wir uns zwar mit einem einzigen Körperteil und lernen daran zu beobachten, doch wir stellen keine Hypothesen und schon gar keine fixen Behauptungen auf. Jeder Hund hat eigene Nuancen und auch, wenn es „artübergreifende“ Signale, z.B. aus dem Bereich von Konflikt- und Stresssignalen gibt, kannst du nicht aus einer Kopf-, Ohren oder Rutenhaltung auf das gesamte Tier und dessen Motivation zurückschließen.
Gerne wird behauptet, dass Hunde nicht zu Aggressionsverhalten neigen, wenn der Ohrenansatz hinten ist. Dafür aber eher, wenn er vorne ist. Ich würde mich nicht darauf verlassen …. Denn mal abgesehen davon, dass es dafür meines Wissens nach keinen Beweis gibt, ist es zudem so, dass ein Ohransatz sich schnell verschiebt.
Höre auch gern in unsere Podcast Episode #48 “Die Welt aus der Sicht deines Hundes”.
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