Warum du nicht auf Gewöhnung setzen solltest, wenn du einen Angsthund hast
Allem vorweg: Ich mag den Begriff Angsthund nicht. Es suggeriert uns, dass dieser Hund immer und überall Angst hat. Es ihm nie gut geht. Meistens ist etwas anderes der Fall:
Wir erleben ihn in einer Umwelt, mit der er überfordert ist und die Ängste in ihm auslöst. In einem anderen Umfeld hätte er Spaß.
Lies hierzu auch gerne meinen Artikel: 15 Anzeichen, an denen du Überforderung beim Hund erkennen kannst.
Der Begriff „Angsthund“ birgt das Risiko, dass wir unser Handeln, das Mitnehmen des Hundes in dieses Umfeld und unsere Möglichkeiten zu reflektieren vergessen. Es lädt dazu ein, den Hund nur aus der Angsthund-Perspektive zu sehen. Eine passive Opferrolle entsteht, unter der wir und der Hund leiden!
Angsthund oder Hund mit Ängsten?
Wann immer du den Begriff „Angsthund“ verwendest, rufe dir doch direkt drei andere Begriffe in den Kopf. Bei unserer Minnie sind das zum Beispiel „Buddelkönigin“, „Flitzepiepe“ und „Kniekehlenkuschlerin“.
Minnie kam als vermeintlicher Angsthund mit Deprivationsschaden zu uns. Zu Beginn dachte ich, dass ich ihr einfach Zeit geben muss. Zeit, sich an mich zu gewöhnen, an unsere Welt und an ihr neues Leben.
Heute weiß ich, dass sie früher die Chance gehabt hätte, sich zur fröhlichen Knutschkugel zu entwickeln. Wir haben eine Menge Zeit auf diesem Weg verplempert und sind heilfroh, dass wir es dennoch gemeinsam genießen können.
Warten alleine, reicht nicht – Konfrontation schadet
Schon kleine Momente, in denen der Angsthund sichtbar wird, reichen um die Erfahrungen frisch zu halten. Sie sollten nicht geschehen. „Der muss da durch“ ist definitiv kein Ansatz für euch, sondern bringt euch in eine bescheidene Lage.
In meinem Artikel: „Anne, der flippt so aus, das musst du gesehen haben!“ schreibe ich, warum wir unerwünschtes Verhalten nicht ablaufen lassen. Auch Angstverhalten ist unerwünschtes Verhalten, das du nicht ablaufen lassen solltest. Lies gerne hier mehr dazu.
Abwarten alleine, bringt deinem Hund keine neuen Strategien bei. Er kann nicht lernen, mit den Situationen umzugehen und wird nicht robuster werden.
Was tun, damit ihr das Etikett Angsthund loswerdet?
Angst zieht Kreise – so entsteht ein „Angsthund“
Es gibt angeborene Angstauslöser, das ist gut und gesund. Denn die Emotion Angst soll uns vor zu wagemutigen Aktionen und vor Gefahren schützen. Zischgeräusche, plötzliche Veränderungen und Reize, extreme Reize, das alles gehört dazu.
Und es gibt Auslöser, die dein Hund lernt, weil sie für ihn unangenehm waren oder an einen angeborenen Auslöser gekoppelt werden.
Damit der Hund Gefahren ausweichen und sie frühzeitig vermeiden kann, lernt sein Gehirn die Vorboten von angstauslösenden Reizen besonders schnell. Ist ein Vorbote erlernt, löst der eine ähnliche Reaktion aus, wie der echte Auslöser und die Vorboten des Vorbotens werden erlernt – und so weiter und so fort….
Wenn du einen sensiblen Hund hast oder einen Hund, der eben hin und wieder von angstauslösenden Reizen überrascht worden ist, wird sein Gehirn verstärkt nach Gefahren scannen.
Je häufiger dein Hund also mit Angstauslösern und deren Vorboten konfrontiert wird, desto mehr Vorboten lernt sein Gehirn kennen. Das Fazit: Mehr Angst, mehr Angstauslöser – ein „Angsthund“ entsteht.
Die Angst ist im übrigen immer echt und fühlt sich nie gut an. Dein Hund schauspielert sie nicht und stellt sich nicht an. Wenn du Angst an seinem Ausdrucksverhalten siehst, hat er Angst – BASTA!
Die Dosis macht das Gift!
Ein Hund mit vielen Ängsten erleidet eine Überdosis. Es gibt keine Angst ohne Stress. Die Gehirnstrukturen verändern sich und werden immer vorsichtiger. In diesem Artikel habe ich dir dazu etwas geschrieben.
Das ist ein Teufelskreis, denn dein Hund lernt in dieser Zeit nicht, besser mit den Angstauslösern umzugehen. Sicherheit wird das stärkste Bedürfnis und alles andere im Leben weniger wert. Nicht umsonst heißt es „Angst macht das Leben kaputt“. Je länger dein Hund in dieser Spirale bleibt, desto schwieriger wird es für euch auszusteigen und wieder mehr Freude und Leichtigkeit ins Leben zu bringen.
Konfrontierst du ihn mit den Angstauslösern einen Tick zu stark, wird er empfindlicher. Wartest du nur ab, wird er keine Strategie lernen, mit ihnen umzugehen.
Unterbrichst du Fluchtverhalten, machst du die Wahrscheinlichkeit von Aggressionsverhalten oder erlernter Hilflosigkeit und Depression größer.
Fang lieber heute an zu trainieren als morgen!
Die Kunst ist es, das Training, den Alltag und den Umgang so zu gestalten, dass du eine Dosis findest, die deinen Hund neue Strategien lernen lässt und gleichzeitig ausreichend Raum zur Erholung bietet.
Diese Gratwanderung solltest du unbedingt mit professioneller Unterstützung angehen! Denn als Hundehalter:in sind wir viel zu nah dran und zu stark involviert. Du brauchst jemanden, der das Ausdrucksverhalten deines Hundes richtig gut lesen kann und auf dich und deinen Hund eingeht.
In unserer Podcast-Episode #06 – Warum “Training” alleine nicht reicht um Verhalten nachhaltig zu ändern beschreiben dir Anja und ich, wie ein solches Training gestaltet werden kann.
Safety first!
Die oberste Prämisse beim Training mit einem „Angsthund“ sollte es sein, zunächst einen sicheren Ort zu schaffen, an dem der Hund sich rundherum erholen und seinen Akku aufladen kann. Bei uns ist das die „Hunde-Oase“.
Mein dringender Rat ist es, dass auch du dir eine Hunde-Oase aufbaust und damit im Haus beginnst. Wenn dein Hund sich richtig erholen kann, wenn ihr zuhause seid, ist das schon die halbe Miete.
Von einem solch sicheren Ort aus, kann man dann Stück für Stück Erkundungen vornehmen. Wir haben neben der Hunde-Oase im Haus auch noch das Auto als Rückzugsort aufgebaut und „Wohlfühlinseln“ in unseren Spaziergang integriert.
Das alles braucht etwas Zeit, ein paar Wochen solltest du einrechnen, es bringt dir jedoch ein stabiles Gerüst um dann mutiger zu werden. Von hier aus kannst du mit deinem Hund Herausforderungen meistern und wenn es reicht, wieder in den sicheren Hafen zurückkehren.
Lies auch gerne mehr zum Thema in meinem Blogartikel: “10 Tipps, wie du deinem unsicheren Hund mehr Sicherheit geben kannst.”und “8 Tipps für die Leinenführigkeit bei Angsthunden!”
Verschwende keine Zeit, sondern beginne bereits heute damit dir über mögliche Rückzugsorte Gedanken zu machen.
Angst kann nicht über Schönes verstärkt werden! Wie euer Training danach weiterverläuft ist von vielen Faktoren abhängig. Deswegen wollen wir uns mit pauschalen Empfehlungen zurückhalten. Gerne begleiten wir dich und deinen Hund oder nennen dir jemanden. Dafür kannst du uns kontaktieren.
Etwas Allgemeines zum Training möchte ich dir dennoch an die Hand geben: Angst ist eine Emotion, die durch unangenehme Reize ausgelöst wird. Durch angenehme Erfahrungen machst du die Angst nicht größer, sondern aktivierst mächtige Gegenspieler der Angst. Nutze das! Idealerweise wirst du in eurem Training deinen Hund minimal mit den Auslösern konfrontieren und dann was richtig FETTES Gutes dagegen setzen um die Emotion gegenüber dem Auslöser zu verändern. Das nennt man Gegenkonditionierung.
Parallel werdet ihr neue Verhaltensstrategien trainieren, die deinem Hund helfen, die Situationen besser zu überstehen und belohnt werden.
Der dritte wesentliche Strang wird die Entspannung sein, die euch hilft in schwierigen Situationen gmeinsam zu atmen und sie zu bewältigen.
Last but not least: In einem guten Training wirst du deinen Hund niemals im Regen stehen lassen, wenn er doch nicht schafft ohne deutliche Angstreaktion auf einen Auslöser zu reagieren. Immerhin hast du ihn in diese Situation gebracht.
In diesen Fällen zieh einen Tierarzt mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie hinzu
Starke und häufige Angst sind Gift für den ganzen Körper. Wenn dein Hund permanent in Alarmbereitschaft ist, hat das Auswirkungen auf sein Wohlbefinden, sein Immunsystem, Leber, Niere – Ach, einfach auf alles.
In bestimmten Fällen, solltest du daher das Training auch medikamentös begleiten um rasch einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Sprich darüber auch mit deiner Hundetrainerin – vielleicht kann sie dir jemanden empfehlen? Ansonsten schreibe uns an, wir empfehlen dir gerne Tierärztinnen.
Medikamente werden nicht leichtfertig gegeben, doch wenn:
der Angstauslöser gar nicht kontrollierbar ist,
häufig auftritt und unvermeidbar ist,
es viele verschiedene Angstauslöser gibt,
macht es Sinn, auch in diese Richtung zu denken!
Bevor diese Medikamente ins Spiel kommen, solltest du mit dem Training gestartet sein und das Thema Schmerzen auf dem Schirm haben. Zum Thema Schmerzen findest du hier mehr Informationen.
Eine gute Verhaltenstierärztin fragt dich diese Sachen allerdings auch!
Du hast noch keine Begleitung an deiner Seite und willst dein Training jetzt starten? Melde dich bei uns und vereinbare dein kostenfreies Vorgespräch. Gemeinsam schauen wir, ob für euch eine Einzelbetreuung oder das Jahresprogramm „Ein echtes Team“ in Betracht kommt.
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