Mehrhundehaltung – Mehr Hunde, mehr Glück?
Ich habe aktuell zwei Hunde, die kleinste Art der Mehrhundehaltung also. Früher hatten wir drei + X.
+X, das waren unsere Pflegehunde. Über mein Pflegestellendasein habe ich dir ja bereits in dieser Podcast Episode #52 berichtet. Mal waren es ein bis zwei erwachsene Hunde, in seltenen Fällen auch mal drei, und hier und da ein Wurf Welpen.
Wir haben also mehrere Konstellationen in der Mehrhundehaltung erlebt und auch unterschiedlichste Hunde integriert. Nicht alle Konstellationen waren harmonisch. Auch in meinem Alltag als Hundetrainerin sehe ich viele unterschiedliche Hundegruppen. Warum ich von „Hundegruppen“ schreibe, verraten Anja und ich dir in der nächsten Podcast Episode #54.
Ich mag meine Mehrhundehaltung und das, was ich lernen durfte und dennoch möchte ich dir in diesem ersten Artikel zum Thema ein paar nicht so angenehme Perspektiven auf das Thema an die Hand geben. Denn die Haltung mehrerer Hunde wird oft romantisiert. Es gibt jedoch viele Hunde, die als Einzelhunde mindestens genauso gut aufgehoben sind, sogar glücklicher.
Hunde sind extrem soziale Wesen und sie leben in der Natur in Rudeln oder Gruppen. Das bringt uns Menschen immer wieder dazu unseren Hunden viele Sozialkontakte ermöglichen zu wollen oder davon auszugehen, dass ein Hund glücklicher ist, wenn er mit anderen zusammenlebt. Das ist aber nicht pauschal so und du brauchst definitiv kein schlechtes Gewissen haben, wenn du lieber nur einen Hund an deiner Seite möchtest.
In meinem Artikel „Hundekontakte hinterfragt“ lasse ich dich an meinen Gedanken zu den Sozialkontakten außerhalb der Familie teilhaben.
Heute soll es um die Gründung und das Zusammenleben mit einer Hundegruppe gehen – der Mehrhundehaltung.
Stell dir diese Fragen vor der Mehrhundehaltung
Ehe du dir weitere Hunde zulegst, solltest du dich hinterfragen, ob du dazu bereit bist und was deine Motivation ist. Oft schaffen wir uns den zweiten oder dritten Hund aus bestimmten Motiven an, machen uns diese jedoch nicht bewusst.
Ich unterscheide dabei in Motive „für“ den Menschen, beispielsweise:
Du hast einen Hundesport als Hobby, dein bisheriger Hund geht aber langsam in Rente.
Du kannst bestimmte Dinge mit deinem aktuellen Hund momentan nicht machen, weil er z.B. zu ängstlich ist oder nicht so der Kuscheltyp.
Der zweite Hund wird für ein Familienmitglied angeschafft, welches keinen Zugang zum ersten findet.
Der Hund wird alt und man möchte nicht in Gefahr sein „ohne“ zu sein.
Man wollte schon immer einen bestimmten Typ Hund und der Wunsch wird größer.
Oder „für“ den ersten Hund, denn der:
hat Probleme mit fremden Hunden und soll mehr Kontakte haben.
hat Trennungsstress und soll einen Gefährten haben.
trifft so selten andere Hunde und soll einen Kumpel haben.
kann sich nicht alleine beschäftigen und soll deswegen einen Hund als Spielgefährten bekommen.
Natürlich gibt es noch viele andere Gründe und auch gerne versteckte, z.B. die Krise in der Familie, für deren vermeintliche Lösung man ein gemeinsames schönes Projekt mit Vorfreude braucht. Oder aber, der erste Hund macht Probleme und man möchte mit dem zweiten beweisen, dass die nicht an der Erziehung, sondern am Hund liegen. JA, das gibt es und unter uns Hundetrainerinnen ist es ebenso verbreitet, wie das Gefühl, dass man beweisen muss mit bestimmten Hunden oder Hundetypen zurecht kommen zu müssen, um das Können zu zeigen – ein Trugschluss, wie ich finde. Ich kenne tolle Trainerinnen, die aktuell – aus vernünftigen Gründen – keinen Hund haben, weil sie sich der Verantwortung bewusst sind.
Kläre deine Motivation mit dir und mache dir auch bewusst, an wem die Arbeit unterm Strich in deiner Familie hängen bleiben wird. Schaffst du, oder die Person, die es sein wird noch mehr?
Sei dir über die folgenden Punkte bewusst und denke über sie nach. Stelle dir das „Worst Case Szenario“ vor, ehe du eine Entscheidung triffst.
Mehrhundehaltung = mehr Kosten, mehr Arbeit, mehr Training
Futter, Equipment, Steuer, Versicherungen, medizinische Grundversorgung, das alles bedenken doch viele, ehe sie sich weitere Hunde anschaffen. Das ist wichtig, denn es läppert sich. Doch was, wenn beide Hunde hintereinander zum Tierarzt müssen, weil sie nicht fit sind? Was, wenn das Auto auf einmal zu klein wird? Manchmal wird mir schlecht, wenn ich die Ausgaben für meine Tiere näher betrachte. Und für mich ist eines klar: Jedes unserer Tiere braucht die volle Versorgung. Es geht nicht, dass ein Hund zurücksteckt, weil der andere gerade unvorhergesehene medizinische Betreuung braucht.
Wir haben aktuell Mitte des Jahres, die Kosten für JEDEN meiner Hunde in diesem Jahr belaufen sich auf einen vierstelligen Betrag – nur beim Tierarzt. Ja, sie sind nicht mehr die Jüngsten und haben einige Baustellen. Doch schaffst du das? Oder hast du entsprechende Versicherungen? Was decken die ab? Nehmen die alle Hunde auf? Bist du bereit dafür, auf Dinge zu verzichten?
Ein zweiter Hund erzieht sich nicht von alleine! Und es ist auch nicht die Aufgabe des ersten.
Im Gegenteil, meine Erfahrung zeigt, dass bei einer frisch gebackenen Mehrhundehaltung auf einmal alte Trainingsbaustellen beim Ersthund wieder aufbrechen oder neue entstehen. „Schuld“ daran sind Stress und durchbrochene Routinen.
Doch selbst wenn die Mehrhundehaltung direkt harmonisch verläuft und sich keine alten Baustellen wieder eröffnen, es bleibt mehr Aufwand, wenn du es gewissenhaft machen willst. Ein zweiter Hund:
hat eigene Bedürfnisse – wie kannst du beide stillen?
muss das Leben mit euch erst lernen – dazu gehört Training.
kann in deinen Ersthund eine Menge neuer Dynamiken bringen!
Nicht selten führt das dazu, dass teilweise getrennte Gassigänge notwendig sind, sobald beide auch alleine bleiben können. Diesen Aspekt würde ich im Übrigen immer trainieren, denn wenn beispielsweise einer zum Tierarzt muss, willst du nicht beide mitschleppen. Das Gleiche gilt, wenn nicht beide die gleichen physischen und psychischen Möglichkeiten zum Gassi haben oder du auch mal getrennt trainieren willst.
Getrenntes Trainieren ist oft bis zu einem gewissen Grad sinnvoll. Denn Multitasking ist eine besondere Herausforderung.
Harmonie in der Hundegruppe ist nicht selbstverständlich
Es kann sein, dass dein Hund sich in einer Mehrhundehaltung pudelwohl fühlt oder eher überfordert ist, in jedem Fall wird er mehr Kompromisse machen müssen.
Wenn wir eine Hundegruppe bilden, wünschen wir uns natürlich, dass es wunderbar harmonisch abläuft und alle voneinander profitieren.
Leider ist das selten der Fall. Meine Hundemädels würde ich heute als echte Freundinnen bezeichnen, aber es war ein Weg, in dem ich viel unterstützen und lernen durfte. Die schlimmste Zeit war für uns als unsere drei Hündinnen Maggie, Nayeli und Minnie heftige Auseinandersetzungen hatten und wir sie nicht alle an einem Ort haben konnten. Minnie konnte mit den beiden anderen zusammen sein, doch Maggie und Nayeli zusammen ging überhaupt nicht. Wir haben ein Jahr mit Gittern und Schleusen geübt, ehe die beiden wieder in einem Raum waren und wir dennoch atmen konnten.
Erst als Maggie starb, merkten wir, dass wir – trotz der zum Schluss wieder entspannten Lage – nie wieder wirklich entspannt waren, wenn die drei an einem Ort waren. Eine Belastung die nicht ohne war.
Minnie und Nayeli haben bis heute regelmäßige Ruhezeiten von der anderen, Qualitätszeit mit mir alleine, eigene Rückzugsorte zu denen die andere nicht geht und noch vieles mehr. All das ist entstanden über Training, Management und Anpassung unserer Lebensbedingungen. Dazu müssen wir Menschen jedoch bereit sein.
Denn es reicht nicht, dass sie keine Auseinandersetzungen haben. Wenn viele Konflikte bleiben, ist zu Hause nie wieder ein echter Wohlfühlort und damit auch keine Erholung gegeben.
Selbst wenn dein Hund draußen spitzenmäßig mit anderen zurechtkommt, heißt das noch lange nicht, dass er drinnen teilen möchte.
Das Bilden einer Hundegruppe ist immer mit gegenseitiger Rücksichtnahme und Konflikten verbunden. Diese friedlich zu lösen braucht Strategien, die nicht jeder Hund automatisch mitbringt.
Es kann sein, dass du deinem Hunde diese Strategien erst beibringen musst und dann deine Unterstützung nach und nach ausschleichst. Letzteres ist wichtig, denn du kannst nicht immer da sein und willst auch mal in Ruhe in die Badewanne oder schlafen…
Konflikte in der Mehrhundehaltung begünstigen weitere Probleme
Eigentlich logisch, denn wer zu Hause mehr Rücksicht nehmen und auf andere achten muss, der tankt seinen Akku eben nicht wieder ganz voll. Die Hunde werden dünnhäutiger, verbrauchen einen Teil ihre Impulskontrolle und sind damit draußen impulsiver.
Insbesondere, wenn du einen sogenannten „reaktiven Hund“, wie in diesem Artikel beschrieben hast, kann das die Verhaltensprobleme noch begünstigen.
Auch Begegnungsprobleme, Jagdverhalten, Erregungsbellen oder Ängste können durch eine unglückliche Gruppenkonstellation vergrößert werden.
Überlege es dir gut, denn Konflikte in einer Gruppe oder Familie gibt es immer – auch wenn es harmonisch ist. Denke doch mal an das Zusammenleben mit deinen Geschwistern, Partner:innen oder Eltern… Genießt du es nicht auch, wenn du das Zuhause mal ganz in Ruhe für dich hast?
Mehrhundehaltung kann weniger engere Bindung verursachen
Nehmen wir an, deine Mehrhundehaltung ist super harmonisch und genau so, wie du sie dir vorgestellt hast. Ich wünsche dir das von Herzen, denn ich liebe es, wenn ich unsere Hunde in diesen Momenten beobachten darf, ihr Glück und ihre Kommunikation sehe.
Tust du das auch? Oder ist es für dich komisch und unangenehm, wenn:
Sicherheit
die beiden gemeinsam größere Kreise ziehen, weil ihnen die Nähe des anderen Sicherheit gibt?
du nicht mehr Kuschelpartner Nummer 1 bist, weil sie sich dieses Bedürfnis gegenseitig erfüllen?
dein neuer Hund sich mehr an deinen Ersthund hängt und du dadurch unwichtiger wirst?
Für mich sind genau diese Momente der Grund, warum ich weiterhin zwei Hunde haben mag. Ich genieße es, dass ich nicht mehr so wichtig bin und sie mehr enge Vertraute haben. Es sei denn, sie gehen gemeinsam jagen… Aber daran kann man zum Glück gut und spaßig trainieren!
Schau auch gern in meinen Blogartikel: “Wie Mehrhundehaltung sich auf die Mensch-Hund-Beziehung auswirkt”.
Was ist mit Urlaub, Krankheit und Co.?
Als wir den ersten Pflegehund aufnahmen, zu unserer Maggie, wurde es mir zum ersten Mal bewusst: Meine Hundesitter trauten sich einen Hund problemlos zu. Das Leinenhandling und die Versorgung von zwei Hunden, war ihnen zu viel. Es mussten neue Lösungen her.
Wir fahren nicht ohne unsere Hunde in den Urlaub, doch auch eine Unterkunft zu finden wird von Hund zu Hund schwieriger. Aber natürlich nicht unmöglich. Die Auswahl wird eben kleiner. Dennoch war es mir wichtig, dass wir für den Fall der Fälle Hundesitter haben, die einspringen können. Was, wenn einer von uns krank ist und der andere beruflich unterwegs sein muss? Was, wenn man auf dem Rückweg von Ikea in einer Vollsperrung steht oder man einfach mal zu einer Hochzeit eingeladen ist?
Für all das gibt es Lösungen – man muss nur bereit sein, sie zu suchen und ggf. auch mehr Kosten zu tragen.
Mehrhundehaltung ist nicht die Lösung deiner Probleme
Einen zweiten oder dritten Hund anzuschaffen um Probleme mit dem ersten zu lösen ist in der Regel keine gute Idee! In den wenigsten Fällen hilft das wirklich.
Die Trainingsaufgaben bleiben und werden in der Mehrhundehaltung mehr.
Du wirst also nicht drum herumkommen, sie anzugehen und dein Training mit dem Ersthund aufzunehmen.
Meine Empfehlung: Lasse den zweiten Hund einziehen, wenn der erste gut und sicher durch den Alltag kommt und deine Unterstützung nur selten braucht! Du lernst zugleich, das Training erfolgreich umzusetzen. Beim nächsten Hund machst du dann neue Fehler und Erfahrungen.
Und verzichte auf einen zweiten Hund, wenn dein Hund gut und gerne auf Artgenossen verzichten möchte und du anders die Gelegenheit hast, mit ihm Hundefreundschaften aufzubauen, z.B. über Social Walks.
Wenn er mit 1-2 Hunden seine Kommunikation, auch im Nahkontakt, vertieft hat und du denkst, er könnte 24 Stunden, 7 Tage die Woche diese Herausforderung lösen, denke wieder über einen weiteren Hund nach.
Wer zu wem?
Alles hat seine Vor- und Nachteile! Gegengeschlechtliche Paare sind in der Regel einfacher, zu verpartnern, doch kann es zu mehr Abwehr von Konkurrenten unterwegs geben.
Gleichgeschlechtliche Hunde können echte Kumpels oder Freunde werden.
Häufig sind unkastrierte Rüden am schwierigsten bei der Vergesellschaftung. Das Zusammenleben kann dann aber wunderbar harmonisch sein. Unkastrierte Hündinnen können im Zusammenleben ordentlich aneinanderrasseln, Hormone eben.
Bei Mehrhundehaltung ohne Züchtungsgedanken lege ich dir nahe, dich mit dem Thema Kastration ausgiebig zu beschäftigen und nicht nur den Massen und Foren zu folgen, sondern dir z.B. das Buch „Kastration“ von Clarissa von Reinhardt und Dr. Michael Lehner durchzulesen.
Grundsätzlich kann jede Konstellation in die Hose gehen oder wunderbar werden! Denn am Ende zählt die Persönlichkeit und dein Engagement.
Ich habe mich irgendwann entschieden, dass bei uns erst wieder Hunde einziehen, wenn unsere beiden nicht mehr sind. Ich möchte ihr freundschaftlich, friedliches alt werden nicht gefährden und ihre „Golden Girls Lebensqualität“ nicht auf`s Spiel setzen.
Das Thema „Alt und Jung“ ist für mich ein ganz besonderes. Denn oft wird der alte Hund in die Rolle des Erziehers gesteckt. Vielleicht, weil man sich eine Kopie wünscht. Doch meine Hunde sollen in Ruhe altern und jeden Tag genießen.
Unsere Maggie hat es im Alter geliebt, mit den Welpenwürfen zusammen zu sein. Sie war extrem geduldig, hat mit ihnen gespielt, erkundet, sie gepflegt. Doch sie hat es auch gut dosiert. Nach einer Weile hat sie sich stets zurückgezogen und ausgeruht.
Dafür waren sowohl kleine Baumaßnahmen, als auch ein gewisses Management und Training mit den Welpen notwendig, damit diese es akzeptieren. Ich wollte weder, dass Maggie genötigt wird „hart“ durchzugreifen, noch, dass die Welpen diese Erfahrung machen.
Jeder Hund hat es verdient, dass seine Bedürfnisse und sein Wohlbefinden geachtet werden. Sie haben keinen Job, wenn wir einen weiteren Hund ins Haus holen. Es ist unsere Aufgabe, als Bezugspersonen für sie zu sorgen.
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