Das ist ein…. – Warum Rassebrillen blind machen
Menschen mit Hunden haben häufig eine Affinität zu einer bestimmten Rasse oder einem Hundetyp. Das ist normal. Wir alle haben unsere Vorlieben, unser Verständnis von Schönheit und wir lieben Dinge, die uns vertraut vorkommen. Es gibt uns Sicherheit.
Doch eine Rasse alleine macht keinen Hund. Eine Rasse ist eine genetische Selektion – wenn wir ehrlich sind, nicht einmal das. Denn oft sind sich die Rassen so ähnlich, dass es aus biologischer Perspektive eher Landschläge, als Rassen sind.
Was bedeutet Rasse eigentlich?
Landschläge sind Hundetypen, die sich – unabhängig von einer gezielten Züchtung – in bestimmten Gebieten entwickeln. Meistens ähneln diese Hunde sich sowohl in der Optik, als auch im Verhalten, aber die Farben und Variationen sind deutlich größer. Umweltbedingungen und Überlebensfaktoren bestimmten maßgeblich die Weiterentwicklung.
Rassen sind von Zuchtverbänden anerkannte und eingetragene Züchtungen eines bestimmten Hundetypes. Nicht mehr und nicht weniger. Festgelegt wird eher die Optik, als das Verhalten. Farben, Größen, Gewicht und Körperform werden definiert. Wenn auf einen bestimmten Verwendungszweck selektiert wird, so wird auch das Verhalten beachtet. Dabei wird häufig auf Teile der Beutefangsequenz selektiert. Körperform und Verhalten hängen eng zusammen.
Form folgt Funktion
Die Selektion auf Körperformen und Aussehen haben auch Auswirkungen auf das Verhalten. Hunde mit kompakten stämmigen Körpern, sogenannte Kraftypen, sind dafür gemacht standfest zu sein. Hunde mit rechteckigen Körperformen, schlank und hochbeinig, sind eher zum Traben oder Galoppieren gemacht.
Diese unterschiedlichen Bauten des Körpers spiegeln sich auch in den Vorlieben von Bewegung, Jagen und anderen Verhaltensweisen wieder. Doch nicht nur das…
Ringelruten, Schlappohren und weißes Fell haben – wie kurze Schnauzen – einen Ursprung in der sogenannten Neuralleiste. Sie ist allerdings nicht nur dafür, sondern zum Beispiel auch für die Aktivitäten von Nebennieren und Nebennierenrinden und der Schilddrüse zuständig. Organe, die einen engen Zusammenhang zu Verhalten und dem Stresssystem der Hunde haben.
Eine Zucht auf Optik hat immer auch Auswirkungen auf das Verhalten! Und Mängel in der Zucht, die durch einen engen genetischen Flaschenhals immer entstehen, sorgen nicht selten für Schmerzen – die wiederum Verhaltensprobleme begünstigen.
Genetik und Rasse alleine machen keinen Hund!
Unsere Hunde sind viel mehr als der Vertreter einer Rasse. Sie sind Individuen. Und diese Individualität wird durch die Rassebrille mehr als gefährdet. Ein einseitiger Blick, egal aus welcher Perspektive, gibt niemals das gesamte Wesen wieder.
Dein Hund besteht aus einem Körper und seiner Genetik und Epigenetik. Das solltest du nicht leugnen. Und auch wenn ich kein Fan von Rasselisten bin und keine Rasse als „aggressiv“ einstufe, so macht es keinen Sinn zu leugnen, dass ein Terrier auf packen, schütteln und töten selektiert ist. Und, dass sie unter Stress und Konflikten zum Packen neigen – was weh tun kann und sie im Rahmen des Beutefangverhaltens eben keine Drohsignale vorweg senden. Das Fazit einer Rasseliste ist für mich lediglich das falsche. Meines wäre es über Körpersprache und einen vernünftigen Umgang aufzuklären.
Das Verhalten deines Hundes entsteht aus:
Genetik und Epigenetik
der Persönlichkeit
Erfahrungen aus seinem Leben
der aktuellen Umwelt
dem aktuellen (Wohl)befinden
Genetik und Epigenetik hast du für den Hund vor dir nicht mehr in der Hand. Doch welche Erfahrungen er in seinem Leben ab jetzt macht und in welcher Umwelt er sich bewegt, das schon. Du hast es in der Hand zu seinem Wohlbefinden beizutragen und seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen um so ein schönes Fundament für seine weiteren Erfahrungen zu schaffen.
Persönlichkeiten müssen unterschiedlich sein
Wären alle Hunde einer Rasse gleich in ihrer Persönlichkeit, so würden sie nicht überleben. Es muss in jeder Population mutige, ängstliche und die Mitte geben. Es muss Hunde geben, die lieber bei den Jungtieren bleiben und aufpassen, statt sich sofort in jedes Abenteuer zu stürzen. Es muss Hunde geben, die auf Bedrohung mit Angriff reagieren und welche, die sich eher zurückziehen – sonst könnte die Art nicht überleben. Es würden alle im Kampf fallen oder beim Rückzug verhungern.
Die Mischung macht es aus! Es gilt die gaußsche Normalverteilung. Es gibt in jeder Gruppe eine große Mitte und das eine oder andere Extrem. Was du an deiner Seite hast, findest du heraus, indem du dich dem Individuum zuwendest und die Rasse einfach mal aus deinem Kopf raushältst.
Ich kenne viele Schäferhunde, die gerne packen und schütteln, die blitzschnell reagieren und entsprechend ihrer Rassebeschreibung „ticken“. Doch ich kenne auch die anderen Kandidaten. Die eher zurückhaltenden, ängstlichen – die lieber schlecken als schütteln.
Unsere Nayeli ist ein Herdenschutzhund. Nicht nur von ihrer Genetik, sondern auch so aufgewachsen – zumindest ihre ersten 1,5 Jahre. Und dennoch ist sie ein Hund, der Spaß an Training und Belohnungen hat. Der gerne Wildspuren verfolgt und neugierig erkundet. Etwas behäbiger vielleicht als andere, denn ihr Körper bleibt unverändert. Doch ihre Lerngeschichte bei uns und ihre Erfahrungen der letzten Jahre haben sie zu einem neugierigen Hund gemacht.
Dein Hund ist er – niemand sonst
„Das ist unser 5. Welsh Corgie, aber der ist so anders…!“
„Wir hatten immer Schäferhunde, sie ist nicht normal!“
„Ich habe das erste Mal einen Hund aus dem Tierschutz, das ist etwas ganz anderes.“
Was für mich ganz einleuchtend ist, ist für viele eine echte Herausforderung. Wenn wir das erste Mal auf etwas treffen, legt unser Gehirn das als „normal“ ab. Der erste Retriever zu dem wir Kontakt haben, bestimmt also unser Retriever Bild und bei allen nachfolgenden suchen wir nach der Wiederholung. Solange wir gleichbleibende Muster entdecken, fühlen wir uns sicher. Und dann kommt der „Charakterkopf“ – der Hund mit den vielen Abweichungen und es verunsichert uns. Für uns ist es ganz logisch, der Hund ist komisch….
Doch eigentlich ist es unser Gehirn, dass die falschen Verknüpfungen gesteckt und die falschen Schubladen angelegt hat. Denn wir haben die Individualität vergessen.
Wir alle – Hunde, Pferde, Krokodile und Menschen – haben die gleichen Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Stimulanz und Selbstwirksamkeit. Doch äußern sie sich unterschiedlich. Während für dich vielleicht ein voller Kühlschank und ein bestimmter Kontostand Sicherheit bedeuten, ist es für mich das Wissen, Zeit für ein Buch und Kontrolle über bestimmte Ereignisse zu haben.
Ich liebe es zu lernen, Erlerntes anzuwenden und auszuprobieren und dann mein Wissen wieder aufzubereiten und weiterzugeben. Du hingegen bist vielleicht der Typ, der lieber erst alles weiß, ehe er loslegt.
Genauso unterschiedlich sind unsere Hunde. Ihre Bedürfnisse mögen im Kern gleich sein und ähnliche Typen haben ähnliche Interessen, doch die Ausprägung, die Umsetzung und die Entfaltung sind gänzlich unterschiedlich.
Wenn du die Rassebrille ablegen willst, tue folgendes:
Vergleiche dich und deinen Hund immer nur mit eurer gestrigen Version, nie mit anderen.
Bestaune jeden Tag die Einzigartigkeit neu und lasse dich von deinem Hund überraschen.
Lerne seine Körpersprache und sein Ausdrucksverhalten lesen, um seine Bedürfnisse zu erkennen.
Ignoriere die viele Mythen und Glaubenssätze über Rassen und verlasse dich auf eure gemeinsamen Erfahrungen!
Bedürfnisse verändern sich …. und Verhalten
Das Leben ändert sich stetig und damit auch unsere Bedürfnisse. Lernerfahrungen, Umwelteinflüsse und Entwicklungs- bzw. Alterungsprozesse sorgen dafür, dass Bedürfnisse immer in Veränderung sind.
Doch Bedürfnisse bilden die Grundlage für Motivationen und Verhalten. Sie steuern uns und unsere Hunde. Was hilft es dir, eine Rasse zu kennen, wenn du die individuellen Bedürfnisse übersiehst!
Der Trick liegt darin im Hinterkopf zu haben, was mit einer Rasse auf dich zukommen könnte und zugleich immer deinen Hund als eigenes Geschöpf wahrzunehmen. Du vermeidest die selbsterfüllende Prophezeiung der Rasseeigenschaften, in dem du immer einen Schritt zurücktrittst und noch einmal neugierig beobachtest, wenn du dich bei folgenden Formulierungen erwisschst:
Er ist eben so!
Typisch….
Mal wieder.
Rasse X hat wieder zugeschlagen.
Rassebrillen sind Ausreden – ebenso wie die Herkunft
Wie oft höre ich: „Ich habe einen Galgo, da geht Freilauf nicht.“ „Das können wir nicht trainieren, ich habe einen Herdenschutzhund“. „Das ist eben ein…, mit dem geht das nicht.“ – Für mich sind das Ausreden und das gilt auch für „Die kommt aus dem Tierschutz.“
Woher weißt du es?
Wie sah der letzte Trainingsplan aus?
Wo sind die Trainingsprotokolle?
Was machen diese Gedanken mit dir?
Ganz ehrlich, solange du dir selber Grenzen setzt, verschließt du dich vor den Wegen, die vielleicht eine echte Steigerung der Lebensqualität bedeuten. Ich sage nicht, es geht alles mit allen Hunden (und Menschen). Doch das weißt du erst, wenn du systematisch, strukturiert und vor allem mit Durchhaltevermögen und viel Reflexionsfähigkeit an einem Thema ganzheitlich gearbeitet hast. Woran du erkennst, dass du mit deinem Training auf dem richtigen Weg bist, berichten wir dir hier.
Wenn du willst und bereit bist, Zeit und Energie zu investieren, geht viel mehr, als du dir heute vorstellen kannst! Und wenn du nicht am Ziel ankommst – es ist egal, du wirst eine deutliche Verbesserung merken. Nie hätte ich mir vorstellen können, das meine Hunde in den Freilauf können und doch haben wir den Weg gemeistert. Lies hier mehr dazu.
Das Wissen über eine Rasse oder Herkunft darf dich stützen, aber nicht einschränken! Setze dich über die Grenzen hinweg indem du dich immer wieder fragst, ob dein Hund nicht doch die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt.
Erfahre hier mehr zu den Themen:
Qualzuchten – Wenn das Leben Leid beinhaltet
Der gute Züchter – Worauf du bei der Wahl eines Züchters achten solltest
Worauf du bei der Auswahl eines Hundes achten solltest
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